Das leere Land
Ich bin weggegangen wegen der zwei kleinen Männer, die es ausgerechnet an meinem Geburtstag getan hatten. Sie saßen am Severustag des Millenniumjahres triumphierend vor einer Reihe von Fahnen, Rot-Weiß-Rot, die Bundesländerflaggen, natürlich das EU -Blau mit den Sternen, und unterzeichneten vor den Live-Kameras des staatlichen Fernsehsenders ihren Pakt. Ich bin weggegangen wegen der Art, wie sie bei der anschließenden Pressekonferenz den israelischen Journalisten verhöhnten. Es war ein guter Tag für sie, denn Severus, den man nicht mit dem norischen Severinus verwechseln darf, also Severus, der Strenge von Ravenna, ist der Schutzpatron der Polizisten. Die zwei kleinen Männer haben übertrieben freundlich lächelnd die Fragen des Israeli beantwortet, aber zugleich haben sie ihn mit dieser gönnerhaften, herablassenden und tiefste Verachtung ausdrückenden Freundlichkeit, zu der nur österreichische Politiker fähig sind, verhöhnt.
Er soll uns nicht auf die Nerven gehen mit seinen Fragen nach Moral und Haltung und Rassismus und Antisemitismus. Diese unterschwellige Botschaft haben sie ihm an den Kopf geworfen wie Hände voll Dreck, gar nicht sonderlich subtil. Er sollte merken, dass seinesgleichen nun abgemeldet ist. Der Sohn des Nazilegionärs, der sich sechsundsechzig Jahre davor mit den österreichischen Gendarmen von Kollerschlag ein wütendes, über Tage gehendes Feuergefecht geliefert hatte, starrte den alten Juden an mit unverhohlenem Triumph. Der schmallippige Katholik daneben hatte große Mühe, sein beherrschtes Gesicht nicht zu einem ungeheuer zufriedenen Grinsen zerfließen zu lassen.
Ich bin weggegangen, weil nur eine österreichische Journalistin es gewagt hatte, bei dieser makabren Veranstaltung eine kritische Frage zu stellen. Was ihr nicht gut bekommen war, ein paar Jahre später hatten sie die Frau aus ihrem Beruf gemobbt. Die anderen österreichischen Journalisten waren dagesessen wie schockgefroren, sie machten im wahrsten Sinn des Wortes keinen Mucks. Sie schienen nicht begriffen zu haben, was passiert war. Oder sie hatten es sehr wohl begriffen und blitzartig ihren Betriebsmodus umgestellt auf die neuen Verhältnisse.
Darum habe ich zugesagt, im Sommer 2000, als das Angebot kam, eine Arbeit über Kohl zu verfassen. Vor 9/11 war es einfach, sich praktisch unbegrenzt mit einem Touristenvisum in Nordamerika aufzuhalten, ständig zwischen Ontario und Minnesota wechselnd. Bei jeder Fahrt von Thunder Bay nach Duluth hatte ich formell Kanada verlassen, mit der abendlichen Rückfahrt war ich erneut eingereist und konnte mein Besuchervisum um sechs Monate verlängern lassen. Umgekehrt funktionierte es mit den USA genau so.
Muhammad Atta as-Sayyid und seine Komplizen haben dies beendet. Danach verschaffte mir der Verlag eine temporäre Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Kanada, die ohne Probleme einmal jährlich erneuert wurde. Nach Hibbing und Duluth und vor allem natürlich nach Wisconsin, ins liebliche Fond du Lac am Lake Winnebago, wo Johann Georg Kohl neben La Pointe und Anse sein drittes Hauptquartier aufgeschlagen hatte während seiner Forschungsmonate, reiste ich nach wie vor als Tourist. Es war nur sehr viel komplizierter geworden, die Bestimmungen änderten sich alle paar Monate. Das Visa Waiver Program machte es um eine Spur einfacher, nur durfte man bei den Rückfahrten ja nie vergessen, sich an den kleinen Grenzübergängen jedes Mal die Ausreise aus den USA bestätigen zu lassen.
Es ist gelogen, wenn ich sage, dass ich weggegangen bin wegen des Zusammenrückens der Rechtspopulisten mit den Neoliberalen. Der Hauptgrund waren die rapide sinkenden Publikationsmöglichkeiten in Österreich gewesen, die schrumpfenden Einnahmen. Und war das bestens dotierte Angebot eines Verlags gewesen, nach Kanada zu gehen und eine Biografie über Kohl zu schreiben. Ist doch eine überaus aparte Idee, wenn gerade Sie zu Kohl publizieren, lachte der Geschäftsführer. Wir sollten so lange wie möglich das Publikum im Unklaren lassen, ob ein Verwandtschaftsverhältnis besteht, sagte er, das wird die Neugier und damit die Aufmerksamkeit des Marktes erhöhen.
In den Vertrag schrieb er eine Option. Sollte die Kohl-Biografie einen gewissen Prozentsatz der Erstauflage absetzen, verpflichte sich der Autor, also ich, innerhalb von drei Jahren einen Ontario-Reiseführer mit Schwerpunkt auf aboriginale Ziele, basierend auf den Werken des Johann Georg Kohl, abzuliefern. Aparte Idee, schmunzelte er: Kohls
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