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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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mit dir?
    Ich begann ihr zu erklären, dass ich am Lake Superior lebe, im Land, das die Wendat, die Menschen von der Insel, Prickelndes Wasser nannten, in Ontario, seit Jahren schon arbeite ich dort, in Thunder Bay, und zeitweise immer wieder in Marathon, ein toller Ort, um dort zu leben, erinnert mich an die Jugend, Marathon, du weißt schon, 490 vor Christus, Griechen-Perser-Schlacht, Pheidippides, der tote Läufer, damals am Gymnasium, da war noch alles einfach und klar. Und am nahen westlichen Ende des Superior-Sees, da liegen Hibbing und Duluth, ist ein Tagesausflug mit dem Auto, gerade mal dreihundert Kilometer weg, und eine wunderbare Tour mit dem Boot. Hibbing und Duluth, du verstehst, der junge Robert Zimmerman. Dylan. Bob Dylan.
    Sie schwieg. Ich sei nur für ein paar Wochen in Österreich, sagte ich, wegen einer Auftragsarbeit. Sie gähnte demonstrativ. Dass ich über Johann Georg Kohl gearbeitet habe, sagte ich, den wahnwitzigen Reisenden, der dieses gewaltige Buch über die Anishinaabe geschrieben hat, 1855, und dem diese freundlichen, aber selbstbewussten Menschen alles erzählt hatten. Über den Großen Hasen, der die Welt erschaffen hat. Und über die Luchse, die unter Wasser leben, in den Großen Seen, und aufpassen, dass den Menschen nichts geschieht. Und dass sie, wie sie so geduckt plötzlich auf der Straße gehockt war und mich angestarrt hatte, ausgesehen habe wie ein scheues junges Unterwasserluchsweibchen.
    Denen ihr Gott ist ein Hase, sagte sie, und: Das ist aber lustig.
    Manchmal auch ein Stachelschwein, oder ein Skunk, aber der Große Hase ist kein Gott, wie wir das verstehen, sagte ich, er ist ein Schöpfer. Und dann ist er ein Trickster. Einer, der Streiche spielt. Wie der Kojote und der Rabe. Trickster, hm, wisperte sie, einer der Tricks draufhat. Genau, sagte ich.
    Auf einmal wusste ich, wer sie war. Du bist das Mädchen, das dauernd im Fernsehen ist, sagte ich. Sie verzog keine Miene. Du bist das Mädchen, das verschwunden ist, oder? Sie grinste ein wenig. Manchmal verschwunden, ja, flüsterte sie, aber im Fernsehen sei sie noch nie gewesen. Der Luchs ist das verschwundenste aller Tiere, scherzte ich, sie sah mich fragend an. Du bist das Mädchen, das abgehauen ist, oder?, fragte ich weiter. Sie haben deinen Vater und deine Brüder abgeschoben, und du bist untergetaucht.
    Meine Alten wohnen da drüben, sagte sie, mit einem unbestimmten Wischen der rechten Hand in Richtung der Gegend südlich der Donau. Und Bruder habe ich keinen. Sie schnappte sich mein Handy, das auf der Ablage über dem Lenkrad lag, und begann damit herumzuspielen.
    Du bist diese, sagte ich, sag schon, wie ist der Name, er fällt mir nicht ein, obwohl er eh dauernd zu hören ist im Radio, sobald man in die Reichweite eines österreichischen Senders gerät.
    Geht das überhaupt bei uns, so ein amerikanisches Handy?, fragte sie. Das Handy schon, aber eine eigene SIM -Karte musste ich kaufen, sagte ich. Und dass sie es bitte zurücklegen solle, es sei mir unangenehm. Sie suche bloß Bilder, sagte sie, ich hätte doch sicher Fotos gespeichert von diesem super See.
    Superior Lake, sagte ich. Oberer See. Nichts mit super. Ein paar Bilder von den Wildgänsen habe ich drauf. Und das Emblem vom Anishinaabe Tribal Council. Ist schön, sagte sie, kramte im Rucksack, holte ihr Handy heraus, drückte an den Knöpfen beider Geräte herum. Was sie da mache, knurrte ich, und dass sie es lassen solle. Will mir bloß die Gänse auf mein Handy laden, sagte sie und warf mein Telefon wieder auf die Ablage. Geht eh nicht. Deins hat kein Bluetooth.
    Schweigend fuhren wir durch Eferding. Im Autoradio sagte die Sprecherstimme, dass Günter Grass sich anlässlich seines USA -Besuchs bitter beschwert habe. Sein Werk werde in Deutschland nicht ausreichend gewürdigt. Nur im Ausland erfahre er, was in der Heimat Mangelware geworden sei: Respekt. Als wir uns dem Ort näherten, dem ich ausweiche, begann das Mädchen Gott sei Dank zu reden. Wo fährst du hin?, fragte sie. Linz, sagte ich, oder zumindest in die Gegend von Linz. Eigentlich will ich nach Zeiselmauer, aber ich habe die Zeit übersehen. Ist jetzt schon zu spät für Zeiselmauer.
    Und wo kommst du her?
    Künzing.
    Künzing? Was ist Künzing?
    Der Heilige Severinus hat dort eines seiner kuriosesten Wunder gewirkt, sagte ich, wurde unsicher, als ich bemerkte, dass sie demonstrativ gelangweilt aus dem Seitenfenster in die Dunkelheit hinaus schaute. Linz ist eh gut, sagte sie. Ich fahre mit

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