Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Eisenhandschuh ganz sachte den Kopf. Er sagte: »Kleines, ich habe einen Greif zu töten. Das ist meine Aufgabe.«
Was ja genau das war, was ich selbst gesagt hatte, wenn es auch Jahre her schien, und das machte es noch viel schlimmer. Ich sagte zum zweiten Mal: »Ich hab’s mir anders überlegt! Jemand anders kann gegen den Greif kämpfen, du musst es nicht tun! Du kannst nach Hause gehen! Geh nach Hause, jetzt sofort, und leb dein Leben und sei der König und alles…« Ich stammelte und weinte und benahm mich überhaupt wie ein Wickelkind, das ist mir klar. Nur gut, dass Wilfrid mich nicht sah.
König Lír tätschelte mich mit einer Hand weiter und versuchte, mich mit der anderen von sich wegzuzerren, aber ich ließ nicht los. Ich glaube, ich versuchte sogar, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, um es ihm wegzunehmen. Er sagte: »Nein, nein, Kleines, das verstehst du nicht. Es gibt Ungeheuer, die nur ein König töten kann. Ich habe das immer gewusst – nie, niemals hätte ich diese armen Männer statt meiner in den Tod schicken dürfen. Niemand sonst kann das für dich und dein Dorf tun. Es ist wirklich und wahrhaftig meine Aufgabe.« Und er küsste mir die Hand, wie er die Hände so vieler Königinnen geküsst haben musste. Genauso küsste er auch meine Hand.
Dann kam Molly herbei und holte mich von ihm weg. Sie zog mich an sich und strich mir übers Haar und erklärte mir: »Kind, Sooz, es gibt jetzt kein Zurück mehr, für ihn nicht und auch nicht für dich. Es war deine Bestimmung, dieses letzte Unterfangen an ihn heranzutragen, und es war seine Bestimmung, es zu übernehmen, und keiner von euch beiden hätte etwas anderes tun können, weil ihr nun mal seid, wer ihr seid. Und jetzt musst du genauso tapfer sein wie er und mit ansehen, wie es sich vollzieht.« Sie unterbrach sich, setzte noch mal an: »Oder vielmehr, du musst warten, bis du erfährst, wie es sich vollzogen hat, denn du wirst ganz gewiss nicht mit in diesen Wald gehen.«
»Ich gehe mit«, sagte ich. »Ihr könnt mich nicht davon abhalten. Niemand kann mich davon abhalten.« Ich weinte jetzt nicht und gar nichts. Ich sagte es einfach nur.
Molly hielt mich auf Armeslänge von sich und schüttelte mich ein bisschen. Sie sagte: »Sooz, wenn du mir sagen kannst, dass deine Eltern es erlaubt haben, kannst du mitkommen. Haben sie’s erlaubt?«
Ich antwortete nicht. Sie schüttelte mich wieder, diesmal sachter, und sagte: »Oh, das war gemein von mir, verzeih mir, liebe Freundin. Ich wusste schon an dem Tag, an dem wir uns begegnet sind, dass du nie lernen könntest zu lügen.« Dann nahm sie meine Hände zwischen ihre und sagte: »Führe uns zum Midwood, Sooz, wenn du magst, und dort verabschieden wir uns dann. Tust du das für uns? Für mich?«
Ich nickte, sagte aber immer noch nichts. Ich konnte nicht, meine Kehle tat zu weh. Molly drückte meine Hände und sagte: »Danke.« Schmendrick kam herbei und gab ihr wohl irgendein Zeichen mit den Augen oder den Augenbrauen, denn sie sagte, »Ja, ich weiß«, obwohl er kein Wort gesagt hatte. Also ging sie mit ihm zu König Lír, und ich war allein und versuchte, das Zittern abzustellen. Nach einer Weile schaffte ich es auch.
Zum Midwood ist es nicht weit. Sie hätten ihn auch ohne meine Hilfe finden können. Man sieht den Rand vom Dach des Bäckers Ellis, dessen Haus das höchste auf dieser Seite des Dorfs ist. Der Midwood ist immer finster, auch von weitem, auch wenn man gar nicht drin ist. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es alles Eichen sind (bei uns gibt es alle möglichen Sagen und Spruchweisheiten über Eichenwälder und die Wesen, die dort leben), oder an irgendeinem Zauber oder an dem Greif. Vielleicht war es ja anders, bevor der Greif kam. Onkel Ambrose sagt, der Midwood war schon Zeit seines Lebens ein böser Ort, aber mein Vater sagt, nein, er und seine Freunde hätten dort früher gejagt, und anscheinend hat er sogar ein, zwei Mal mit meiner Mutter dort gepicknickt, als sie jung waren.
König Lír ritt vorneweg, wirkte majestätisch und fast schon jung mit dem hocherhobenen Kopf und dem wehenden blauen Helmbusch, der mehr wie eine Fahne aussah. Ich wollte mit Molly reiten, aber der König beugte sich herab, als ich an ihm vorbeiging, hob mich vor sich in den Sattel und sagte: »Du sollst mich führen, Kleines, und mir Gesellschaft leisten, bis wir am Wald sind.« Darauf war ich stolz, aber ich hatte auch Angst, weil er so guter Dinge war und weil ich wusste, er zog in den
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