Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Männer machten sich an ihm zu schaffen wie Schneider, legten ihm seine Rüstung an: zuerst die ganzen Polster, die drunter kamen, dann die verschiedenen Teile für die Arme, Beine und Schultern. Wie sowas heißt, weiß ich nicht. Den Helm hatten ihm die Männer nicht aufgesetzt, sodass sein Kopf oben herausguckte, weißhaarig, großnasig und blauäugig, aber er sah trotzdem nicht lächerlich aus. Er sah aus wie ein Riese.
Als er mich sah, lächelte er, und es war ein warmes, fröhliches Lächeln, aber auch ein bisschen einschüchternd, fast schon ein bisschen schrecklich, so wie es sich angefühlt hatte, als ich den Greif am schwarzen Himmel glühen gesehen hatte. Es war das Lächeln eines Helden. So eins hatte ich noch nie gesehen. Er rief mir zu: »Kleines, komm, gürte mir mein Schwert um, wenn du magst. Es wäre mir eine Ehre.«
Die Männer mussten mir zeigen, wie das geht. Der Schwertgürtel war allein schon so schwer, dass er mir immer wieder aus den Fingern rutschte, und bei der Schnalle brauchte ich Hilfe. Aber das Schwert steckte ich allein in die Scheide, auch wenn ich beide Hände brauchte, um es hochzuheben. Als es reinglitt, machte es ein Geräusch, als ob eine schwere Tür zufiel. König Lír berührte mein Gesicht mit einem seiner eisernen Handschuhe und sagte: »Danke, Kleines. Wenn diese Klinge das nächste Mal gezogen wird, dann um dein Dorf zu befreien. Du hast mein Wort.«
Da kam Schmendrick herein, warf einen Blick auf das Ganze und schüttelte den Kopf. Er sagte: »Das ist das Absurdeste… Es sind vier Tagesritte – vielleicht fünf – und es wird heiß genug werden, um einen Hummer auf einem Eisberg zu braten. Er braucht keine Rüstung, ehe er dem Greif gegenübersteht.« Man merkte, für wie dumm er sie alle hielt, aber König Lír lächelte ihn genauso an, wie er mich angelächelt hatte, und Schmendrick war still.
König Lír sagte: »Alter Freund, ich ziehe aus, wie ich zurückzukehren gedenke. Das ist nun mal meine Art.«
Einen Moment lang sah Schmendrick selbst aus wie ein kleiner Junge. Alles, was er herausbrachte, war: »Deine Sache. Nur gib mir nicht die Schuld. Und lass wenigstens den Helm ab.«
Er wollte sich umdrehen und hinausstapfen, aber Molly trat hinter ihm heran und sagte: »Oh, Majestät – Lír – wie imposant! Wie wunderschön du bist!« Es klang, wie wenn meine Tante Zerelda über meinen Bruder Wilfrid in Verzückung ausbricht. Er könnte sich im Schweinekoben suhlen und seine ganze Hose verdrecken, und Tante Zerelda würde immer noch finden, dass er der großartigste und gescheiteste Junge der Welt ist. Aber Molly war anders. Sie fegte diese Schneider, oder was es für Leute waren, einfach beiseite und stellte sich auf die Zehenspitzen, um König Lírs weißes Haar glattzustreichen, und ich hörte sie flüstern: »Ich wollte, sie könnte dich sehen.«
König Lír blickte sie eine ganze Weile an, ohne was zu sagen. Schmendrick stand daneben und sagte auch nichts, aber sie waren alle drei zusammen. Ich wollte, Felicitas und ich hätten die Zeit gekriegt, im Alter auch so zusammen zu sein. Dann sah König Lír zu mir herüber und sagte: »Das Kind wartet.« Und so machten wir uns auf den Weg zu mir nach Hause. Der König, Schmendrick, Molly und ich.
Bis zum letzten Moment versuchte die arme, alte Lisene noch, König Lír dazu zu bringen, dass er ein paar Ritter oder Soldaten mitnahm. Sie lief uns sogar noch hinterher, als wir losritten, und rief: »Hoheit – Majestät – wenn du sonst niemanden mitnehmen willst, nimm mich mit! Nimm mich mit!« Da hielt der König an, wendete sein Pferd und ritt zu ihr zurück. Er stieg ab und umarmte Lisene, und ich weiß nicht, was sie zueinander sagten, aber danach folgte uns Lisene nicht mehr.
Ich ritt die meiste Zeit beim König mit, vor ihm auf seiner tänzelnden schwarzen Stute. Ich wusste nicht recht, ob ich ihr trauen konnte, dass sie mich nicht beißen oder treten würde, wenn ich nicht hinguckte, aber König Lír erklärte mir: »Sei versichert, nur Friedenszeiten machen sie nervös. Wenn Drachen gegen sie anstürmen mit ihrem tödlichen Rülpsen – denn die Dämpfe sind gefährlicher als die Flammen, Kleines – wenn dein Greif auf sie herabstößt, dann wirst du sie von ihrer besten Seite erleben.« Ich mochte sie immer noch nicht besonders, aber den König mochte ich. Er sang mir keine Liedchen vor so wie Schmendrick, aber er erzählte mir Geschichten, und das waren keine Sagen oder Märchen. Es waren wahre
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