Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
mir!«
Molly machte sich von ihm frei, mit einer geröteten Wange und zwei gequetschten Ohren. Das Mädchen in ihrem Schoß seufzte, hörte auf zu lächeln und wandte sein Gesicht von der aufgehenden Sonne ab. Molly sagte: »Schmendrick, du armer Mann, du Magier, siehst du nicht…«
»Was? Es gibt nichts zu sehen!« Doch seine Stimme klang unvermittelt hart und wachsam, ein Anflug von Angst überzog seine grünen Augen. »Der Rote Stier jagte hinter einem Einhorn her, also musste es etwas anderes werden. Du hast mich angefleht, es zu verwandeln. Was, zum Teufel, passt dir jetzt nicht?«
Molly wackelte mit dem Kopf wie eine alte Frau. »Ich wusste nicht, dass du es in einen Menschen, in ein Mädchen verwandeln wolltest. Du hättest besser daran getan…« Sie sah von ihm weg, streichelte mit einer Hand weiterhin des weißen Mädchens Haar.
»Der Zauber hat die Form gewählt, nicht ich«, erwiderte Schmendrick. »Ein Scharlatan mag diesen oder jenen Trug wählen, ein Magier aber ist ein Träger, ein Maultier, das seinen Herrn hinträgt, wohin dieser will. Der Magier ruft, doch die Magie entscheidet. Wenn sie ein Einhorn in einen Menschen verwandelt, dann gab es keine andere Möglichkeit.« Sein Gesicht glühte wie im Fieber, wodurch er noch jünger aussah. »Ich bin ein Träger«, sang er, »ich bin ein Gefäß, ich bin ein Bote…«
»Du bist ein Idiot!«, fauchte Molly. »Hörst du mich? Du bist zwar ein Zauberer, aber ein dummer Zauberer.« Das Mädchen erwachte, seine Hände öffneten und schlossen sich, seine Augenlider bebten wie das Brustgefieder eines Vogels. Als Molly und Schmendrick das Mädchen anblickten, tat es einen sachten Seufzer und öffnete die Augen.
Sie standen weiter auseinander als gewöhnlich, saßen etwas tiefer und waren dunkel wie das tiefe Meer; und erleuchtet wie das Meer von seltsamen glimmernden Wesen, die niemals an die Oberfläche kommen. ›Das Einhorn hätte in eine Eidechse verwandelt werden können‹, dachte Molly, ›in einen Hai, eine Schnecke, eine Gans, doch seine Augen hätten die Verwandlung immer verraten. Jedenfalls mir. Ich würde es immer erkennen.‹
Das Mädchen lag reglos da, seine Augen fanden sich in den Augen Mollys und Schmendricks. In einer einzigen Bewegung sprang es auf, der schwarze Mantel fiel über Mollys Schoß. Einen Augenblick lang drehte es sich im Kreis, starrte seine Hände an, die es hoch und hilflos vor der Brust hielt. Es hüpfte und torkelte wie ein Affe, der ein Kunststück vorführt, sein Gesicht trug den törichten, verwirrten Ausdruck, den das Opfer eines Spaßmachers trägt. Und doch war es einer unschönen Bewegung gar nicht fähig. Sein stummes Entsetzen war lieblicher als irgendeine Freude, die Molly je gesehen hatte, und das war das Furchtbarste von allem.
»Maultier!«, fauchte sie, »Bote!«
»Ich kann es zurückverwandeln«, erwiderte heiser der Zauberer. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich kann es zurückverwandeln.«
Das weiße Mädchen humpelte auf seinen starken jungen Beinen hin und her, schimmerte in der Sonne. Plötzlich strauchelte es und fiel, tat einen bösen Fall, denn es wusste nicht, wie man sich mit den Händen abfängt. Molly eilte zu ihm hin, doch das Mädchen kauerte am Boden und starrte sie an. »Was habt ihr mit mir gemacht?«, hauchte es. Molly Grue fing an zu weinen.
Schmendrick kam heran, sein Gesicht war kalt und feucht, doch seine Stimme klang gelassen. »Ich habe dich in einen Menschen verwandelt, um dich vor dem Roten Stier zu retten. Es gab keine andere Möglichkeit. Sobald ich kann, werde ich dir deine ursprüngliche Gestalt wiedergeben.«
»Der Rote Stier«, wisperte das Mädchen. »Oh!« Es zitterte wie Espenlaub, zitterte, als zerrte und rüttelte etwas von innen her an seiner Haut. »Er war zu stark, zu stark. Ohne Anfang und Ende war seine Stärke. Er ist älter als ich.«
Seine Augen weiteten sich, und Molly kam es so vor, als bewege sich der Stier in ihnen, durchschwämme ihre Tiefe wie ein feuriger Fisch und verschwände. Das Mädchen betastete ängstlich sein Gesicht, schrak zurück, als es seine eigenen Züge fühlte. Seine Finger berührten das Mal auf seiner Stirn, da schloss es die Augen und stieß einen schrillen, durchbohrenden Schrei des Verlustes, der Erschöpfung und der völligen Verzweiflung aus.
»Was habt ihr mit mir gemacht!«, rief es. »Ich will sterben!« Es riss und zerrte an seinem glatten Körper, Blut folgte seinen Fingern. »Ich will sterben, nichts als
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