Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
Türme, die krumm und schief dem Schloss entsprossen und es aussehen ließen wie einen Baum, dessen Wurzeln in die Luft wachsen. Die beiden Männer konnten von hier oben das gesamte Tal von Hagsgate überblicken: die Stadt und die kahlen Hügel dahinter, bis hin zur Straße, die vom Talrand her zu dem mächtigen, doch verfallenden Schlosstor führte. »Ein Mann und zwei Frauen«, meldete der eine Wächter. Er lief hinüber auf die andere Seite des Turmes – eine schwindelerregende Bewegung, denn der Turm neigte sich so stark, dass der halbe Horizont des Postens aus Meer bestand. Das Schloss saß auf der Kante eines Kliffs, das wie eine Messerschneide zu einem schmalen, gelben Strand mit eingesprengten grünen und schwarzen Felsen abfiel. Bauschige Vögel hockten auf diesen Felsen, kreischten »sagteso, sagteso«.
Der andere Wächter folgte seinem Kameraden mit gemächlichem Schritt. Er sagte: »Ein Mann und eine Frau. Die Gestalt in dem Mantel, ich bin mir ihrer nicht sicher.« Beide Wächter trugen selbstgemachte Kettenpanzer: eiserne Ringe, Flaschenverschlüsse und Kettenglieder auf halbgegerbte Häute genäht; ihre Gesichter waren hinter rostigen Visieren verborgen. Doch die Stimme des zweiten Postens und seine Haltung kennzeichneten ihn als den Älteren. »Die Gestalt in dem schwarzen Mantel«, wiederholte er, »sei dir ihrer nicht zu schnell zu sicher.«
Sein Kamerad beugte sich weit hinaus in den orangefarbenen Glanz des kopfstehenden Meeres, wobei er sich an der Brustwehr einige Bolzen von seiner armseligen Rüstung riss. »Es ist eine Frau!«, rief er. »Ich würde eher mein eigenes Geschlecht bezweifeln als das ihre!«
»Daran tätest du gut«, versetzte der andere höhnisch, »denn außer im Herrensitz reiten tust du nichts, was einem Manne ziemt. Ich sage dir noch einmal: Nenne diese dritte Gestalt nicht vorschnell Mann oder Frau. Warte, wart ab, was du siehst.«
Der erste Wächter erwiderte, ohne sich umzudrehen: »Wäre ich aufgewachsen, ohne je auch nur zu träumen, dass es auf dieser Erde zwei voneinander getrennte Geheimnisse gibt, hätte ich jede Frau, die ich je getroffen, als meinesgleichen betrachtet – dennoch wüsste ich, dass dieses Wesen sich von allem unterscheidet, was ich bisher gesehn! Es hat mich immer gegrämt, dass ich dir missfiel, aber jetzt, da ich sie sehe, grämt es mich, dass ich mir immer selbst missfallen habe. O, wie grämt mich das!«
Er beugte sich noch weiter über die Brüstung, starrte sich die Augen aus dem Kopf, um die drei langsam nahenden Gestalten besser zu sehen. Ein Lachen rasselte hinter seinem Visier. »Die andere Frau sieht lahm und übellaunig aus«, berichtete er. »Der Mann scheint ein umgänglicher Kerl zu sein, obschon er ganz offensichtlich zum fahrenden Volk gehört. Ein Spielmann, will mir scheinen, oder ein Gaukler.« Er schwieg geraume Zeit, beobachtete die drei Herankommenden.
»Und die dritte?«, erkundigte sich dann der Ältere. »Deine Königin der Nacht mit dem bemerkenswerten Haar? Bist du ihrer in dieser Viertelstunde schon überdrüssig geworden? Hast du schon tiefer in sie geblickt, als Liebe es wagt?« Seine Stimme in dem Helm scharrte wie kleine, klauenbewehrte Füße.
»Ich glaube«, erwiderte der Jüngere, »ich könnte sie nie aus der Nähe betrachten, wie nah sie mir auch käme.« Seine Stimme klang gedämpft und voller Bedauern, hallte wider von vertanen Möglichkeiten. »Der Glanz des Neuen liegt auf ihr. Alles ist wie zum ersten Mal, sieh nur, wie sie sich bewegt, wie anmutig sie geht, wie sie den Kopf wendet, alles geschieht zum ersten Mal, das erste Mal, dass überhaupt jemand diese Dinge tut. Und wie sie Atem schöpft und ihn wieder ausströmen lässt, als wüsste niemand anderes auf der ganzen Welt, wie gut Luft schmeckt. Alles ist für sie da. Fände ich heraus, dass sie erst heute morgen zur Welt gekommen ist, dann würde mich nur wundern, dass sie schon so alt ist.«
Der andere Posten starrte auf die drei Wanderer hinab. Der große Mann erblickte ihn zuerst, danach die griesgrämige Frau. In ihren Augen spiegelte sich nur seine Rüstung, grimmig, verrostet und leer. Doch dann hob das Mädchen in dem zerfetzten schwarzen Mantel den Kopf, und er trat von der Brüstung zurück, schützte sich vor dem Glanz und der Helle mit seinem erhobenen Blechhandschuh. Einen Moment später verschwand es zusammen mit seinen Begleitern im Schatten des Schlosses, und er senkte seine Hand.
»Ich denke, es ist wahnsinnig«, sagte er
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