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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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gewissen Antisemitismus im Land?», bemerkte ich.
    Kuhlmann und Fuldner lachten, Eichmann hingegen blieb stumm.
    «Es tut gut, wieder unter Deutschen zu sein», sagte Fuldner. «Humor ist keine herausragende Eigenschaft der Argentinier. Sie sind viel zu sehr auf ihre Würde bedacht, um auch mal zu lachen, vor allem über sich selbst.»
    «Klingt, als wären sie Faschisten», sagte ich.
    «Das ist eine andere Sache. Der Faschismus hier ist kein echter. Die Argentinier haben weder den Willen noch die Neigung, anständige Faschisten zu sein.»
    «Vielleicht gefällt es mir hier am Ende ja doch ganz gut», sagte ich.
    «Also wirklich!», rief Eichmann.
    «Glauben Sie mir, Herr Fuldner», sagte ich. «Ich bin nicht ganz so politisch wie unser Freund hier mit der Fliege und der dicken Brille, das ist alles. Er verleugnet die Wirklichkeit immer noch. Hat mit allen möglichen Dingen zu tun. Soweit ich weiß, klammert er sich noch immer an die Vorstellung, dass das Dritte Reich tausend Jahre überdauern wird.»
    «Sie meinen das ernst, nicht wahr?»
    Kuhlmann kicherte.
    «Müssen Sie über alles Witze machen, Hausner?» Eichmanns Tonfall war gereizt.
    «Ich mache lediglich Witze über Dinge, die mir als witzig erscheinen», entgegnete ich. «Ich würde nicht im Traum daran denken, über etwas wirklich Wichtiges Witze zu machen. Nicht, wenn ich riskiere, Sie damit zu ärgern, Riccardo.»
    Ich spürte Eichmanns Blicke, und als ich mich zu ihm wandteund ihn ansah, kniff er die Lippen zusammen. Für einen Moment starrte er mich feindselig an.
    «Was machen Sie eigentlich hier, Herr Dr.   Hausner?», fragte er.
    «Das Gleiche wie Sie, Riccardo. Ich sehe zu, dass ich Land gewinne.»
    «Aber warum? Warum? Sie verhalten sich nicht wie ein Nazi.»
    «Ich bin von der Beefsteak-Sorte. Braun auf der Außenseite, aber innen ziemlich rot.»
    Eichmann starrte aus dem Fenster, als ertrüge er meinen Anblick nicht eine Sekunde länger.
    «Ich könnte ein gutes Steak vertragen», murmelte Kuhlmann.
    «Dann sind Sie hier genau richtig», sagte Fuldner. «In Deutschland ist ein Steak ein Steak, aber bei uns in Argentinien ist es eine patriotische Bürgerpflicht.»
    Wir fuhren immer noch durch Hafengebiet. Die meisten Namen auf den Lagerhäusern und Öltanks waren britisch oder amerikanisch: Oakley & Watling, Glasgow Wire, Wainwright Brothers, Ingham Clark, English Electric, Crompton Parkinson, Western Telegraph. Vor einem hohen offenen Lagerhaus weichten heuballengroße Berge Zeitungsdruck im Nieselregen des frühen Morgens auf. Fuldner lachte und zeigte darauf.
    «Dort», sagte er beinahe triumphierend. «Das ist Perónismus in Aktion. Perón zensiert die oppositionelle Presse nicht oder verhaftet ihre Herausgeber. Er verhindert nicht einmal, dass sie ihre Zeitungen drucken. Er stellt lediglich sicher, dass die Zeitungen nicht mehr lesbar sind, wenn sie bei den Lesern ankommen. Verstehen Sie   – Perón hat sämtliche großen Gewerkschaften auf seiner Seite. Das ist argentinischer Faschismus, wie er leibt und lebt.»

ZWEI
BUENOS AIRES
1950
    Buenos Aires sah aus und roch auch wie jede europäische Großstadt vor dem Krieg. Während wir durch die geschäftigen Straßen fuhren, kurbelte ich die Scheibe nach unten und atmete euphorisch in tiefen Zügen den Duft draußen ein, die Abgase, den Zigarettenrauch, den Duft nach Kaffee und teurem Parfum, gebratenem Fleisch, frischen Früchten, Blumen und Geld. Es war wie die Rückkehr zur Erde nach einer Reise ins Weltall. Deutschland mit den Lebensmittelrationierungen, den Kriegsschäden und der ganzen Schuld, den alliierten Tribunalen schien Millionen Kilometer entfernt. In Buenos Aires herrschte dichter Verkehr, weil es jede Menge Benzin gab. Die Bevölkerung hatte keine Sorgen, man war gut gekleidet und gut genährt, weil es in den Läden Kleidung und Essen gab. Buenos Aires war alles andere als Provinz. Es war beinahe wie eine Rückkehr in die
belle epoque
. Beinahe.
    Unser Unterschlupf befand sich in der Calle Monasterio 1429 im Bezirk Florida. Fuldners Worten zufolge war Florida einer der schicksten Stadtteile von Buenos Aires, doch das hätte man nicht vermutet, wenn man unser Versteck sah. Von außen war das Haus hinter den riesigen Pinien nicht zu sehen, und von der Straße hätte man nicht vermutet, dass auf dem Grundstück überhaupt ein Haus stand. Drinnen angekommen, war dann klar, dass dort tatsächlich eines stand – und man wünschte sich augenblicklich, es wäre nie gebaut worden, so

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