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Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition)

Titel: Das letzte Hemd ist bunt: Die neue Freiheit in der Sterbekultur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Roth
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einer neuen Sterbekultur finden; einer Sterbekultur, die den Tod, die Trauer nicht ausgrenzt, sondern zurückholt. Und ich möchte den Menschen, die in ihrem beruflichen Umfeld dem Tod begegnen – Medizinern, Pflegenden, Seelsorgern, Bestattern, Polizisten – Hinweise geben, die sie besser auf den Umgang mit Hinterbliebenen vorbereiten. Ich will dazu ermutigen, die eigenen Handlungsspielräume zu entdecken und sie zu nutzen. Es geht mir darum zu zeigen, was fehlt, wenn der Tod, wenn Trauer in unserer Alltagserfahrung keinen angemessenen Platz mehr einnimmt. Was uns fehlt, wenn es um Sterben, Tod und Trauer geht.
    Tod und Trauer haben nicht nur eine private Dimension, sondern auch eine betriebswirtschaftliche und ökonomische, die Argumente dafür liefert, das Thema nicht nur in Sonntagsreden aufzugreifen und es ansonsten auszuklammern. Auch für Unternehmen ist es wichtig, sich mit dem Thema Trauer zu befassen: Betriebsräte, Personalchefs, Betriebsärzte und Manager sind Menschen, deren Kompetenz gefragt ist, wenn ein Mitarbeiter trauert. Wir leben in einer Zeit, in der die Zahl der älteren Arbeitnehmer drastisch ansteigt, in der Burn-out zur Volkskrankheit geworden ist und immer mehr Menschen wegen psychischer Leiden ihrer Arbeit fernbleiben. Wir müssen lernen, was Trauer bedeutet und wie das berufliche Umfeld dazu beitragen kann, den Zeitraum der Beeinträchtigung zu verkürzen und das positive Potenzial im Trauerprozess zu nutzen.
    Aus der Begegnung mit dem Tod gewinnen wir wertvolle Einsichten darüber, wie wir die Veränderungsprozesse gestalten können, die wir im Leben zu bewältigen haben. Es ist nicht möglich, den Umgang mit Tod und Trauer isoliert zu betrachten. Er wird beeinflusst von anderen Entwicklungen – und er beeinflusst umgekehrt das Leben in der Gesellschaft. Das heißt: Wenn wir anders mit Tod und Trauer umgehen, dann hat das Folgen, die über diesen Erfahrungsbereich hinausgehen. Wenn wir dem Tod einen Platz im Leben geben, dann verändert sich dieses Leben dadurch. Es verändert sich mindestens so gravierend, wie der Tod das Leben des Einzelnen verändern kann. Die Wiederaneignung des Todes und der Toten hat weitreichende Konsequenzen für die Gesellschaft und ihre Werte.
    Es geht darum, dass wir uns Tod und Trauer wieder zu eigen machen und sie in den eigenen Lebens- und Handlungshorizont integrieren, anstatt sie an Experten zu delegieren. Für eine andere Kultur des Sterbens und Trauerns müssen wir selbst die Verantwortung übernehmen, und wir müssen uns bemühen, die fehlende Wirklichkeit des Todes zurückzugewinnen. Dafür braucht es Mut.

Teil II

6
    Der Trauer eine Heimat geben

Ein Ort der Begegnung
    Trauer braucht eine Heimat, braucht Erlaubnis, Zeit und Raum. In unserer Kultur aber findet sie in der Regel hinter verschlossenen Türen statt. Wie groß hingegen das Bedürfnis nach Gemeinschaft ist, wird spürbar, wenn, wie im Fall des Torwarts Robert Enke oder von Prinzessin Diana, öffentliche Trauer eine – hier durch die Medien erteilte – Erlaubnis erhält.
    Viele Menschen werden heute fünfzig Jahre und älter, ohne dass sie je eine echte Leiche gesehen hätten. Dennoch glauben die meisten, eine konkrete Vorstellung vom Tod zu besitzen – liefert das Fernsehen nicht jeden Tag jede Menge Tote frei Haus? An die Stelle der persönlichen Erfahrung sind Bilder getreten, die nicht der Realität des Sterbens entsprechen, sondern vor allem dem Bedarf der Medien: dramatische Bilder. Das führt dazu, dass die meisten Kinder heute erschreckende Vorstellungen vom Sterben und vom Tod haben. In Schweden hat man beispielsweise vor einigen Jahren im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung herausgefunden, wie stark die Realität des Fernsehens diese Vorstellungen prägt. Auf die Frage: »Woran, glaubst du, werden deine Eltern einmal sterben?«, antwortete eine Mehrzahl der Kinder ohne Zögern: »Die werden erschossen.«
    Wer glaubt, nur Kinder seien von einer solchen verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit betroffen, irrt. Kinoleichen haben mit den »echten« Leichen der Abendnachrichten eines gemein: Egal, was uns präsentiert wird, wir bleiben passive Zuschauer und können als solche unsere Gefühle nach Bedarf rationalisieren und relativieren. Wir erschrecken vielleicht, sind erschüttert, entsetzt. Wir schütteln den Kopf über so viel Grauen in der Welt. Aber wir können unsere Emotionen auch schnell wieder zurückdrängen. Denn die Bilder der Leichen bleiben genau das: Bilder.

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