Das letzte Relikt
Abbie. »Die sollte trotz allem funktionieren. Du kannst ja deine Sachen schon ins Gästezimmer bringen.«
Beth manövrierte sich samt Tasche um die engen Windungen der Wendeltreppe, was nicht ganz einfach war. Das Haus war als einstöckiges Gebäude errichtet worden, und erst einer der späteren Eigentümer hatte den Dachboden ausbauen lassen, so dass die Treppe irgendwie in den bestehenden Grundriss hineingequetscht werden musste. Das Gästeschlafzimmer mit dem angrenzenden Badezimmer und einem eigenen Wohnraum nahm das gesamte Dachgeschoss ein.
Erschöpft warf Beth ihre Tasche auf das mit einem Quilt bedeckte Bett. Sie hatte den Lichtschalter noch nicht gefunden, so dass es im Zimmer immer noch dunkel war. Sie konnte die nackten Zweige in der aufgegebenen Apfelplantage sehen, und dahinter die in Silber getauchten Umrisse der baufälligen Scheune. Ben hatte Witze darüber gemacht, dass sie ihre Nachbarn zu einem Scheunenfeuer einladen könnten, aber Abbie hatte gesagt, dass ihr die Scheune gefiel und dass sie dem Ort Charakter verlieh. In diesem Moment verstärkte sie nur Beths Gefühl, sich am Ende der Welt zu befinden. Wenn die Vorhänge schon hängen würden, hätte sie sie mit einem Ruck zugezogen.
»Sieht so aus, als könntest du doch ein Bad nehmen«, rief Abbie vom Fuß der Treppe. »Der Boiler ist an, und das Wasser läuft.«
»Danke«, rief Beth zurück. Das Haus war so klein, dass man kaum die Stimme heben musste, um verstanden zu werden. »Ich denke, das werde ich auch tun.«
»Ich sehe dich dann morgen früh«, sagte Abbie. »Wer als Erster wach ist, macht die Kaffeemaschine an.«
Beth fand den Lichtschalter und schaltete ihn ein. Dann ging sie zum Fenster, das ein paar Zentimeter offen stand. Sie wollte es gerade schließen, als sie innehielt. Die Nachtluft war zwar kalt, aber auch so frisch und duftend, dass sie den Geruch noch einen Moment genießen musste. Es erinnerte sie daran, wie es nach einem Regenschauer im Wald gerochen hatte, als sie eine Reise durch die Cotswolds unternommen hatte. Sie würde das Fenster einen Spalt offen lassen, um zur Abwechslung einmal bei frischer Luft und ohne Stadtlärm zu schlafen. Zu müde, um ihre Tasche ganz auszupacken, nahm sie nur ihr Nachthemd, den Bademantel und die Toilettenartikel heraus und brachte alles ins Badezimmer, das Abbie und Ben inzwischen hatten renovieren lassen. Jetzt war es mit einem Medizinschränkchen aus geätztem Glas, einem Porzellanwaschbecken mit zwei vergoldeten Wasserhähnen und einer großen hohen Badewanne auf klauenartigen Füßen ausgestattet. Als Beth das heiße Wasser aufdrehte, fiel ihr unglücklicherweise wieder ein, was sie schon beim letzten Mal gestört hatte, als Carter und sie für ein Wochenende hier gewesen waren: Die Badewanne stand direkt vor einem großen Fenster, und es gab weder Vorhänge noch Jalousien.
»Wer soll von einem brachliegendem Feld schon zusehen?«, hatte Carter gefragt, wie Beth sich erinnerte. Außerdem, sagte sie sich, war es fast Mitternacht.
Trotzdem wandte sie sich vom Fenster ab, als die Wanne voll war und sie sich auszog. Sie hätte das Badezimmerlicht ausschalten können, aber nicht heute Abend, nicht hier. Lieber ging sie das Risiko ein, vom unternehmungslustigsten Spanner der Welt entdeckt zu werden, als in einem dunklen Zimmer zu baden.
Sie hängte ihren weißen Bademantel an die Rückseite der Tür und stapelte ihre Kleidung unter dem Waschbecken auf, wobei sie besorgt feststellte, dass ihr Slip tatsächlich blutbefleckt war. Anschließend fuhr sie mit einem Finger durch das Badewasser. Wenn es noch heißer wäre, würde sie schmelzen. Sie legte ein paar zusammengelegte Handtücher auf den Toilettensitz neben der Badewanne und stieg, nachdem sie den Kaltwasserhahn etwas weiter aufgedreht hatte, in die Badewanne. Das Wasser war tief, und als sie sich hinsetzte, reichte es bis über ihre Knie. Sie ließ sich weiter einsinken, und das Wasser stieg höher, über ihren Bauch und ihre Brüste. Vorsichtig lehnte sie den Kopf gegen das immer noch kalte Email.
Entspann dich,
sagte sie sich.
Versuch einfach, dich zu entspannen.
Aber genauso gut hätte sie auf einen Gefangenen auf dem Weg zum Galgen einreden können. Noch immer schwirrten ihr tausend Dinge im Kopf herum. Sie musste Carter anrufen, sobald sie aus der Wanne raus war, und sei es nur, um eine Nachricht zu hinterlassen, dass sie wohlbehalten angekommen waren. Und morgen früh sollte sie bei der Galerie anrufen, um sich für ihr
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