Das letzte Revier
nicht länger beim Namen. Es ist leichter, Menschen umzubringen, die man entpersönlicht. »Mach dir keine Sorgen«, fügt er bizarrerweise hinzu. »Ich mache nichts. Es muss nur so aussehen wie etwas anderes.«
Ich blicke zur Decke. Er weiß, was ich denke. Er ist blass und schwitzt, als er eine Kommodenschublade aufzieht und mehrere Ösenschrauben und eine Heißluftpistole herausholt, eine rote Heißluftpistole.
»Warum?«, frage ich ihn. »Warum mussten sie sterben?« Ich meine die beiden Männer, die, wie ich jetzt glaube, Jay ermordet hat. »Du wirst diese Dinger für mich in die Decke schrauben«, sagt Jay. »Dort oben in den Balken. Steig jetzt aufs Bett und schraub sie rein, und keine Tricks!«
Er legt zwei Ösenschrauben aufs Bett und nickt mir zu, sie zu nehmen und zu tun, was er gesagt hat. »So etwas lässt sich nicht vermeiden, wenn Leute ihre Nase in Sachen stecken, die sie nichts angehen.« Er nimmt ein Tuch und ein Seil aus der Schublade.
Ich rühre mich nicht vom Fleck und sehe ihn an. Die Ösenschrauben schimmern wie Zinn auf dem Bett.
»Matos kam her auf der Suche nach Jean-Baptiste, und es kostete ein bisschen Gewalt, bis wir genau wussten, was er vorhatte und auf wessen Anweisung hin. Nicht, was du denkst.« Jay zieht seine Lederjacke aus und hängt sie über einen Stuhl. »Es war nicht die Familie, sondern jemand an oberster Stelle, der nicht wollte, dass Jean-Baptiste anfängt zu reden und viele n Leuten ein gutes Geschäft vermasselt. Die Familie -«
»Deine Familie, Jay«, erinnere ich ihn an die Tatsache und daran, dass ich seinen Namen kenne.
»Ja.« Er starrt mich an. »Verdammt, ja, meine Familie. Wir kümmern uns umeinander. Gleichgültig, was einer macht, die Familie ist die Familie. Jean-Baptiste ist ein Stümper, jeder, der ihn ansieht, weiß das und begreift, dass er ein Problem hat.« Ich sage nichts.
»Natürlich billigen wir es nicht«, fährt Jay fort, als spräche er über ein Kind, das Straßenlampen kaputt schießt oder zu viel Bier trinkt. »Aber er gehört zur Familie, ist unser Blut, und unser Blut rührt man nicht an.«
»Jemand hat Thomas angerührt«, sage ich, und bislang habe ich die Ösenschrauben nicht genommen und bin auch nicht aufs Bett gestiegen. Ich habe nicht die Absicht, ihm dabei zu helfen, mich zu foltern.
»Willst du die Wahrheit wissen? Das war ein Unfall. Thomas konnte nicht schwimmen. Er ist über ein Seil gestolpert und vom Dock gefallen oder so ähnlich«, sagt Jay. »Ich war nicht dabei. Er ist ertrunken. Jean-Baptiste wollte die Leiche von der Werft schaffen, weit weg von anderem, was dort vor sich ging, und er wollte nicht, dass die Leiche identifiziert würde.«
»Quatsch«, sage ich. »Tut mir Leid, aber Jean-Baptiste hat der Leiche eine Nachricht mit auf die Reise gegeben. Bon voyage. Le Loup-Garou. Tut man das, wenn man Aufmerksamkeit vermeiden will? Ich denke nicht. Vielleicht solltest du die Geschichte deines Bruders mal überprüfen. Kann sein, dass man sich in deiner Familie umeinander kümmert. Aber vielleicht ist Jean-Baptiste eine Ausnahme. Ihn scheinen Familienbande nicht im Geringsten zu kümmern.«
»Thomas war ein Cousin.« Als würde das Verbrechen dadurch weniger schwer. »Steig aufs Bett und tu, was ich dir sage.« Jay deutet auf die Ösenschrauben und wird allmählic h wütend, sehr wütend. »Nein«, sage ich. »Tu, was du tun musst, Jay.« Ich nenne ihn weiterhin beim Namen. Ich kenne ihn. Ich werde nicht zulassen, dass er mir etwas antut, ohne dass ich ihn beim Namen nenne und ihm in die Augen zu blicke. »Ich werde dir nicht dabei helfen, mich umzubringen, Jay.«
Aus dem Zimmer nebenan dringt ein dumpfer Knall, als wäre etwas um- oder auf den Boden gefallen, dann eine Explosion, und mein Herz setzt aus. Meine Augen schwimmen in Tränen. Jay zuckt zusammen, dann ist seine Miene wieder teilnahmslos. »Setz dich«, sagt er. Als ich es nicht tue, kommt er zu mir und stößt mich auf das Bett. Ich weine. Ich weine um Lucy.
»Du verdammter Dreckskerl«, schreie ich. »Hast du den Jungen auch umgebracht? Bist du mit Benny in den Wald und hast ihn erhängt, einen zwölfjährigen Jungen?«
»Er hätte nicht hierher kommen sollen. Mitch auch nicht. Ich kannte Mitch. Er hat mich gesehen. Es blieb mir nichts anderes übrig.« Jay steht vor mir, unsicher, was er als Nächstes tun soll. »Du hast den Jungen also umgebracht.« Ich wische mir die Augen mit beiden Händen ab.
Jay blickt verwirrt drein. Er hat ein Problem mit
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