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Das Licht, das toetet

Titel: Das Licht, das toetet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derek Meister
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Reisetoilette.
    „Raus mit dir!“, rief er und riss die Plastiktür auf. Der Gestank des Chemieklos schlug ihm entgegen, doch die Toilette war leer.
    Zachary lehnte an der Motorhaube ihres Geländewagens und starrte mit düsterem Blick auf den Bus, während Tan aufgeregt auf dem Laptop herumtippte.
    „Ich versteh das nicht, Zac. Ehrlich. Ist ganz klar die Funkzelle hier. Ihr Handy hat sich hier eingewählt.“
    Ein Zittern durchfuhr den Bus, als die Fahrerin wieder startete. Schwarzer Qualm stieg aus dem Auspuff.
    Die Arme vor der Brust verschränkt, beobachtete Zachary, wie der Bus an ihm vorbeifuhr und sich wieder in den Verkehr einreihte. Das Mädchen mit den Rehaugen presste ihr Gesicht an die Heckscheibe. Offenbar wollte sie ein Foto von ihm schießen, denn sie zückte ihr rosafarbenes Handy. Zachary knurrte sie an und tatsächlich zuckte das Mädchen zurück. Seinetwegen? Oder war ihr Akku alle? Zachary konnte gerade noch erkennen, dass sie verwirrt auf das Display ihres Handys starrte. Er schnappte sich sein Zielfernrohr und sah, wie das Mädchen wild auf den Tasten herumdrückte und schließlich den Akku herausnahm.
    Der Bus gewann an Fahrt.
    „Da!“, jubelte Tan und zeigte auf den blinkenden grünen Punkt, der sich langsam vom roten Pfeil löste. „Siehste, is’ doch nicht abgestürzt. Blödes Trackingprogramm. Es ist der Bus.“
    Mit Verwunderung konnte Zachary durch sein Fernrohr gerade noch erkennen, wie das Mädchen die SIM-Karte aus ihrem Hello-Kitty-Handy zog, bevor der Bus hinter der nächsten Kurve verschwand.
    Mit einem wütenden Schrei trat er gegen den Kühlergrill des Wagens. Der Pitbull auf seinem Arm fletschte die Zähne. „Die haben uns reingelegt!“
    „SIM-Karten getauscht“, entgegnete Tan trocken. Frustriert starrten sie dem Bus nach, als hocke eine gemeinsame Geliebte darin.

54
    Sie hatte sich noch nie in ihrem Leben so einsam gefühlt. Sicher, sie kannte es, verlassen zu werden und sie kannte das Gefühl, keine Freundin zu haben, der man sein Herz ausschütten konnte. Doch hier oben, auf halber Strecke zum Gipfel des Takao und mit Blick auf ihr Zuhause und Tokio, hier oben überkam sie auf einmal ein Gefühl von absoluter Einsamkeit.
    Glutrot durchbrach die Sonne den blauen Morgen. Ihr Ball schien vor Hitze im Smog Tokios zu flimmern und ihre Strahlen vertrieben den Nebel, der sich über die Bäume des Tals gelegt hatte. Chiyo blinzelte. Sie nahm den Helm und ging hinüber zur Absperrung der Seilbahn, die so früh am Morgen noch nicht in Betrieb war. Sie war allein. Sobo war tot und Takai … Schwamm drüber, dachte sie, der Idiot hat es nicht verdient, dass ich ihm nachjammere. Chiyo wischte sich die Tränen am Ärmel ihres geklauten Hoodys ab und setzte sich auf einen der niedrigen Mülleimer. Eigentlich hatte sie den Berg noch höher hinaufsteigen wollen, um den Affenpark, den Botanischen Garten oder den Tempel zu besuchen, in dem sie so oft mit Sobo gewesen war. Doch heute bereitete ihr jeder Schritt Schmerzen.
    Nachdem sie ein paar Minuten auf die verlassene Gondel der Seilbahn und ihre dicken Drahtseile gestarrt hatte, die sich den Hang hinunterspannten, nahm sie sich noch einmal den Helm vor.
    Hitomi. Das Auge.
    Hatte er ihre Großmutter getötet? Konnte das sein? Obwohl sie sich nicht erinnern wollte, konnte sie nichts dagegen tun – erneut tauchte das Bild ihrer toten Großmutter in der Badewanne vor ihren Augen auf. Ihr verkohlter Arm über dem Rand der schwarzen Wanne. Der Helm. Auf dem Boden. Angeschlossen an eine Motorradbatterie.
    Mit Energie versorgt.
    Mit Leben.
    Sie drehte Hitomi um und betrachtete ihn eingehend. Abgesehen von dem dicken Nackenschutz, dem Shikoro, und den Ohrlappen mit den Buchsen wirkte er wie ein alter Stahlhelm. Offensichtlich war der Helm oft getragen worden, denn das Futter im Helm war abgewetzt und an einer Ecke sogar leicht aufgerissen. Sobo schien das Futter schon einmal genäht zu haben. Kleine Kreuzstiche hielten den braunen Stoff zusammen. Beinahe zärtlich fuhr Chiyo mit dem Finger über die Naht und dachte wehmütig an die kleinen, knubbligen Finger ihrer Großmutter. Es musste schon lange her sein, dass sie den Helm geflickt hatte, denn seit Chiyo Sobo kannte, litt sie an Arthrose.
    Plötzlich hielt Chiyo inne. Da war etwas Hartes unter dem Stoff. Noch einmal fuhr sie mit dem Zeigefinger über die Naht. Als sie sich den Helm gestern Abend aufgesetzt hatte, war es ihr gar nicht aufgefallen, doch nun meinte sie, eine Postkarte

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