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Das Licht ferner Tage

Das Licht ferner Tage

Titel: Das Licht ferner Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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laut, einen Weg, irgendeinen Weg zu finden, um die Vergangenheit zu ändern: Um den Toten zu helfen, sie gar wieder zum Leben zu erwecken. Doch die Vergangenheit ist unveränderlich; nur die Zukunft ist formbar.
    Trotz aller Widrigkeiten und Gefahren können wir uns glücklich schätzen, in einer solchen Epoche zu leben. Es wird wohl nie mehr eine Zeit kommen, wo das Licht der Wahrheit und des Verstehens mit solcher Schnelligkeit das Dunkel der Vergangenheit erhellt, wo das Bewusstsein der Menschheit so nachhaltig verändert wird. Die nachfolgenden Generationen, geboren im Schatten der allgegenwärtigen WurmCam, werden mit einer grundlegend veränderten Einstellung gegenüber ihrer Spezies und der Vergangenheit aufwachsen.
    Zum Guten oder zum Schlechten.
     
    Naher Osten, ca. 1250 v. Chr.
    Miriam war Dozentin für Buchhaltungs-Expertensysteme, also keine professionelle Historikerin. Wie jeder andere aus ihrem Bekanntenkreis hatte sie eine WurmCam ergattert, sobald sie auf den Markt gekommen war, und frönte damit ihrer ganz persönlichen Leidenschaft. Diese Leidenschaft galt einem einzigen Mann: Einem Mann, dessen Geschichte sie zeitlebens inspiriert hatte.
    Je näher die WurmCam Miriam ans Subjekt der Begierde heranführte, desto unschärfer schien es zu ihrem Leidwesen zu werden. Der Beobachtungsvorgang an sich zerstörte es, als ob es einer Art von historischer Unschärferelation unterläge.
    Sie ließ nicht locker.
    Nachdem sie stundenlang im grellen Sonnenlicht der alten Wüste nach ihm gesucht hatte, konsultierte sie die Profi-Historiker, die vor ihr in diese Zeit zurückgegangen waren. Systematisch vollzog sie ihre Schritte nach.
    Der Werdegang des Mannes, der übernatürlichen Elemente entkleidet, entsprach im wesentlichen der Biographie aller Führer jener Zeit, als das Volk Israel aus Gruppen palästinensischer Flüchtlinge entstanden war, die sich aus den Stadtstaaten der Kanaaniter davongemacht hatten. Der Rest war Dichtung beziehungsweise Plagiat.
    Dass er in einem Weidenkorb ausgesetzt worden und den Nil hinunter getrieben sei, um ihn als erstgeborenen Israeliten vor dem Tod zu bewahren, war älteren Legenden aus Mesopotamien und Ägypten entlehnt – zum Beispiel über den Gott Horus –, die selbst keinerlei Wahrheitsgehalt besaßen. Und ein ägyptischer Prinz war er auch nicht. Diese Episode schien ein Syrer namens Bay beigesteuert zu haben, der als Ägyptens Schatzkanzler gedient und es unter dem Namen Ramose-khayemnetjeru zum Pharao gebracht hatte.
    Was ist nun die Wahrheit?
    Dem Mythos zufolge war er jedenfalls ein guter Mensch mit menschlichen Schwächen: Er hatte gestottert und sich oft mit den Leuten zerstritten, die er anführte. Er hatte sogar mit Gott gehadert. Sein Sieg über diese Schwächen hatte die Menschen, einschließlich Miriam, die nach seiner Lieblingsschwester benannt war, über dreitausend Jahre inspiriert. Sie musste nämlich mit einer Behinderung durch zerebrale Kinderlähmung leben.
    Er war unwiderstehlich, so lebendig wie irgendeine Person aus der ›wahren‹ Geschichte, und Miriam wusste, dass er in der Zukunft weiterleben würde. Spielte es dann noch eine Rolle, dass Moses nie existiert hatte?
     
    Bobby sah, dass die erste Generation der WurmCam- Benutzer mit wahrer Besessenheit Millionen historischer Gestalten – berühmte und namenlose gleichermaßen – für einen Moment wieder zum Leben erweckte.
    Die Fehlzeiten am Arbeitsplatz explodierten förmlich, und Familien und Beziehungen litten unter dem Faszinosum der WurmCam. Es war, als ob die Menschheit kollektiv gealtert wäre und sich ins Privatleben zurückgezogen hätte, um in Erinnerungen zu schwelgen.
    Vielleicht war es wirklich so, sagte Bobby sich. Wenn es der Menschheit nicht gelang, den Wurmwald abzuwehren, dann hatte sie eh keine Zukunft mehr.
    Vielleicht war die WurmCam mit ihrem Potential genau das, was die menschliche Rasse im Moment brauchte: Ein Schlupfloch.
    Und die Zuschauer erkannten, dass sie eines Tages auch zu einer in der Zeit eingebetteten Entität aus Licht und Schatten werden würden, an der ein Voyeur aus der Zukunft sich vielleicht ergötzte.
    Was Bobby umtrieb, war aber nicht die Masse der Menschheit oder die Strömungen der Geschichte, sondern sein verzagender Bruder.

 
8

KRISE DES GLAUBENS
     
     
    Bobby gewann den Eindruck, dass David sich in einen Einsiedler verwandelt hatte. Er machte Stippvisiten im Wurmwerk, führte ein paar obskure Experimente durch und verschwand wieder in sein

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