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Das Licht ferner Tage

Das Licht ferner Tage

Titel: Das Licht ferner Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Washington. Sie wurde auch nicht gebeten, eine Flagge für die neue Nation zu nähen. Sie hat die Fahne nicht zusammen mit Washington entworfen und hat sie auch nicht in einem Hinterzimmer fabriziert. Soweit wir heute wissen, ist diese Begebenheit hundert Jahre später der Fantasie ihres Enkels entsprungen.
    Den Mythos vom Westernhelden hat Davy Crocket selbst geschaffen, und mit den Legenden vom Waldläufer, die ihn umranken, sollte schlicht und einfach die Popularität der Whigs im Kongress gesteigert werden. Die WurmCam hat nicht vermittelt, dass er im Kapital jemals das Wort ›Bärenjagd‹ in den Mund genommen hätte.
    Das Ansehen von Paul Revere hingegen ist durch die WurmCam noch gestiegen.
    Für viele Jahre diente Revere als Kurier für das Bostoner Sicherheitskomitee. Der berühmte Ritt nach Lexington, um die Revolutionsführer vor den anrückenden Briten zu warnen, war ironischerweise noch waghalsiger, als es im Gedicht von Longfellow zum Ausdruck kommt. Obwohl Revere ein größerer Held war als in der Legende beschrieben, verübeln ihm noch heute viele Amerikaner den starken französischen Akzent, den sein Vater ihm vererbt hatte.
    Es gibt viele solcher Beispiele – nicht nur in Amerika, sondern auf der ganzen Welt. Und manche berühmten Gestalten haben nie existiert! Interessanter als die Mythen selbst ist das Studium ihrer Entstehung aus spärlichen und ungesicherten Fakten – manchmal auch ohne Fakten. Das entspringt einer starken Sehnsucht, die sich der Kontrolle durch das Bewusstsein weitgehend entzieht.
    Wir müssen uns die Frage stellen, wohin uns das führt. Genauso wenig wie das menschliche Gedächtnis ein passives Aufnahmegerät ist, ist die Geschichte eine schlichte Aufzeichnung der Vergangenheit – sie erzeigt sich eher als ein Instrument zur Beeinflussung der Menschen.
    Genauso wie jeder Mensch heute lernen muss, eine Persönlichkeit unter ständiger WurmCam- Beobachtung zu entwickeln, muss die Menschheit sich mit der ungeschminkten Wahrheit ihrer Vergangenheit arrangieren – und neue Wege finden, ihre gemeinsamen Werte auszudrücken, wenn sie überleben will.
    Je eher wir damit anfangen, desto besser.
     
    Similaun-Gletscher in den Alpen, April 2312 v. Chr.
    Es war eine elementare Welt: Schwarzer Fels, blauer Himmel, weißes Eis. Und dies war einer der höchsten Alpenpässe. Der einsame Wanderer schritt zügig aus in dieser lebensfeindlichen Umwelt.
    Marcus wusste, dass der Mann, den er beobachtete, in den Tod ging. Nicht weit entfernt würde er neben einem Felsen zusammensinken und seine jungsteinzeitlichen Gerätschaften neben sich auf den Boden legen.
    Während er das WurmCam- Potential am Forschungsinstitut für Alpine Vorzeit der Universität Innsbruck ausnutzte, hatte Marcus Pinch zunächst befürchtet, durch die WurmCam würde die Archäologie zum Hobby verkommen, wo Amateure mit ungeschultem Auge die ›Wahrheit‹ schauten und Forscher, die in akribischer Kleinarbeit aus Scherben und Spuren ein Puzzle der Vergangenheit zusammensetzten, keinen Platz mehr hatten.
    Wie sich herausstellte, hatte die Archäologie aber noch lang nicht ausgedient. Sie bot noch immer das intellektuelle Rüstzeug für die Offenlegung der Vergangenheit. Es gab einfach zu viel zu sehen – und der Horizont der WurmCam erweiterte sich ständig. Zur Zeit diente die WurmCam lediglich als Ergänzung konventioneller archäologischer Techniken. Sie lieferte letztgültige Beweise, mit denen wissenschaftliche Dispute beigelegt wurden, und bekräftigte, beziehungsweise entkräftete Hypothesen. Das führte zur Herausbildung einer einheitlicheren Sichtweise der Vergangenheit.
    Und was Marcus betraf, so würde die Wahrheit, die hier ans Licht kam, Antworten auf die drängendsten Fragen seiner wissenschaftlichen Arbeit geben – Antworten, die durch Raum und Zeit übertragen und als Blau-Schwarz-Weiß-Bilder auf der SoftScreen abgebildet wurden.
    Dieser Mann, dieser Jäger, war dreieinhalb Jahrtausende nach seinem Tod aus dem Eis ausgegraben worden. Die Blut-, Gewebe- und Stärkereste, Haare und Reste von Federn an Werkzeugen und Kleidung hatten die Wissenschaftler – Marcus eingeschlossen – in die Lage versetzt, sein Leben weitgehend zu rekonstruieren. Und man hatte ihm sogar einen Namen gegeben: Ötzi, der Eismensch.
    Die beiden Pfeile waren von besonderem Interesse für Marcus. Sie hatten ihm sogar als Grundlage für seine Dissertation gedient. Beide Pfeile waren zerbrochen, und Marcus hatte den Beweis zu

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