Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
begannen, schamlos, wie Kühe, wenn man sie molk …
Clemeia sackt in sich zusammen. Es sieht unnatürlich aus, und etwas weicht von ihr in diesem Moment. Sie wirkt nicht mehr wie eine Frau, die mit dem Fuß einknickt, sondern wie eine Ware, die man vom Wagen wirft. Dann bleibt sie unter dem Olivenbaum liegen. Die Senatorentochter weicht sprachlos zurück.
»Man soll nicht schlecht von den Toten reden«, sagte ihr Vater eines Tages, »denn sie sind immer noch da und wachen über dich. So wie deine Mutter, und du willst doch nicht, dass deine Mutter hört, wenn du schlecht über sie sprichst?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Mutter war bei ihrer Geburt gestorben, und sie wusste, wie sehr ihr Vater, der in ihren letzten Minuten bei ihr gewesen war, darunter litt.
»Tot? Nun, wenn ich tot bin, ist alles vorbei«, sagte der Fealv, als sie ihn dazu befragte, und lehnte sich lässig an die Stallwand, sodass die Sonne auf seiner rotbraunen Haut spielte, die glänzte wie geschmeidiges Leder. Er hatte viele solcher Weisheiten und viele Geschichten auf Lager. »Natürlich ist das Kriegerhandwerk gefährlich. Aber ich will ein großer Krieger werden, so wie mein Vater. Ich werde auf eine angesehene Schule gehen – die allerbeste: nach Leiengard.«
»Da will ich mit«, sagte sie, und er lachte. Sie hasste es, wenn er sie stichelte – hochnäsig, sturköpfig, verwöhnt, das waren noch milde Auszüge aus seinem Vokabular –, aber noch mehr hasste sie, wenn er sie verspottete. Sie wusste, er lachte, weil sie ein Mädchen war, und dieser Unterschied bedeutete alles in seiner Welt. Dabei war ihr Vater ein pherenidischer Senator und seiner nur ein Herumtreiber, von dem er zwar ständig erzählte, den er aber nie kennengelernt hatte, und dessen einziges Vermächtnis an ihn außer einem übergroßen Ego eine kleine Flöte war, auf der er kein einziges Lied spielen konnte.
Seine Mutter war eine der Wäscherinnen, und die Senatorentochter hatte nie verstanden, weshalb sie als Pherenidin solche Schande über sich gebracht hatte, denn Helena war eine hübsche Frau, die Besseres verdient hätte, selbst als Wäscherin. Doch sie hatte keinen Mann und teilte sich ihr Zimmer mit einer Fealvmagd, mit der sie ihren Mischlingssohn auch großzog. Der Name der Magd war Mirabelle.
»Sei nicht zu hart mit ihnen«, sagte ihr Vater bei anderer Gelegenheit. »Fealva und Menschen, wir sind ein Blut. Schau ihnen ins Gesicht, und du siehst das Strahlende Reich durch sie scheinen.« Sie versuchte, sich das zu Herzen zu nehmen, denn sie glaubte ihrem Vater, wenn er so redete, aber alles, was aus dem Gesicht des Fealv schien, war der Schalk, der ihm im Nacken saß. Dabei benahm er sich, als gehörte ihm die ganze Welt, und vergötterte seinen Vater – fast so, wie sie ihren.
Ihr wird bewusst, dass sie nach wie vor über Clemeias blutigem Leichnam steht und der Albtraum um sie kein Ende nimmt. Instinktiv hüllt sie sich in Schatten und rennt zum Haus. Die ersten Angreifer sind schon im Inneren und metzeln die Dienerschaft nieder. Die Senatorentochter hat keine Angst. Sie weiß, wenn sie nicht gesehen werden will, dann wird sie auch nicht gesehen. Das hat früher schon funktioniert. Sie hat es nie hinterfragt; es ist einfach so.
Sie drückte sich tief in die warme Dunkelheit des Heubodens, während unter ihr der Fealv und Païdes, der Sohn des Majordomus, ihr närrisches Spiel trieben. Wieso hatten sie sie nicht eingeladen? Und warum nur hatten sie die Hosen heruntergelassen?
Eine Katze, genauso fasziniert und genauso überrascht wie sie, nicht die einzige Zeugin der seltsamen Szene zu sein, bleckte sie an. Die Katze konnte sie sehen. Païdes aber, der zusammenzuckte, und der Fealv, der sanft den Arm um seine Schulter legte, sahen nichts als Dunkelheit, und dabei starrte der Fealv geradewegs durch sie hindurch. Befriedigt kniff sie die Lippen zusammen. Der große Krieger konnte sie nicht sehen!
Sie schleicht durch die offene Tür, die dunklen Räume. Der Boden um sie ist mit Leichen übersät: Mägde, Köche und andere Mitglieder ihres Haushalts liegen verstümmelt auf dem Marmorboden. Eine unwirkliche Abendstille hat sich ausgebreitet. Nur aus der Richtung des Atriums dringen noch Schreie und das Klirren von Schwertern. In den angrenzenden Räumen plündern die Fremden Truhen und Schränke, als hätten sie mit diesem ganzen Wahnsinn nichts zu schaffen. Sie lachen über die Skulpturen und das Geschirr und legen Feuer an die Wandbehänge. Es
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