Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
blitzschnellen Bewegung herum, während seine Hand zum Schwert zuckte.
Sein Gesicht hatte fast etwas Komisches, als er sie entdeckte. Die Nasenflügel bebten, in seinem vor Überraschung offenen Mund blitzten die Zähne. Trotz der Dunkelheit schienen seine Augen keine Schwierigkeiten zu haben, sie zu sehen. Insgesamt war es ein hübsches Gesicht, aber auf die gleiche zwiespältige Art, wie ein wildes Tier hübsch sein kann.
»Hey«, sagte er und ließ die Hand ratlos sinken.
April grinste erschöpft. Nach allem, was Menschen ihr angetan hatten, wäre es die reine Verzweiflung gewesen, ein weiteres Mal ihre Hilfe zu erwarten.
Das hier aber war kein Mensch. Er wirkte auf den ersten Blick vielleicht wie einer, aber auf den zweiten war die Täuschung so offensichtlich, als hätte sich ein Maultier in eine Pferdeherde gemogelt.
Zu guter Letzt hatte sie einen Fealv gefunden.
»Hey«, murmelte sie und verlor das Bewusstsein.
DAS VERSPRECHEN
Zehn Jahre zuvor …
Pherenaïs, Sommer 1588
D ie Reiter kommen mit der Dämmerung. Nicht wie ein heraufziehender Sturm mit fernem Schlachtenlärm, sondern feige und heimlich wie eine Krankheit, die sich im Gewand der Hoffnung verbirgt. Erst steht da nur ein einzelner Mann vor dem Haus, ein Fremdkörper, ganz in schwarz gekleidet, der ruhig die Lage auskundschaftet. Auf einmal füllen sie den ganzen Hof, hinterlassen Tod und Zerstörung.
Die meisten Männer sind noch in den Weinbergen, und so stellt das Haus eine leichte Beute dar, mit nur ein paar Dienern zu seiner Verteidigung. Sie werden hinweggefegt, ihre Mistgabeln und Knüppel finden nie ihr Ziel. Die Senatorentochter versteckt sich hinter einem Wagen und blickt in die sanften Hügel hinaus. Der Fealv ist irgendwo dort draußen. Sein Name ist Ianus, aber für sie ist er meistens nur der Fealv. Sie wünschte, er wäre jetzt hier; auch wenn sie bezweifelt, dass er und seine Schwerttricks eine große Hilfe gegen die schiere Übermacht wären.
»Warum mache ich das eigentlich?«, beschwerte er sich mit gequältem Grinsen. »Warum stehe ich hier mit diesen rostigen Dingern und bringe der Tochter meines Herrn den Schwertkampf bei? Er wird mich noch auspeitschen lassen, wenn er mich erwischt.«
»Du solltest vor mir Angst haben, nicht vor ihm«, entgegnete sie und führte einen unbeherrschten Angriff aus, den er nach einer kurzen Schrecksekunde parierte.
»Angst?«, entgegnete er und korrigierte ihre Haltung mit der Klinge. »Nicht solange du dastehst wie ein altes Weib beim Wasserholen. Dein Gegner soll vor deiner Waffe Angst haben, nicht vor deinen Brüsten – nicht, dass er da schon viel zu fürchten hätte …«
Die letzte Bemerkung ging in einer Serie wütender Hiebe unter.
»Das Schwert ist zu klein«, beklagte sie sich.
»Das Schwert ist genau richtig für dich«, widersprach er. »Ein ordentliches Einhandschwert wiegt gut und gerne zwei, drei Pfund – nicht so viel, wie man glaubt, aber zu viel für dich. Schwing das mal eine Weile, dann reden wir weiter.«
Also kämpfte sie weiter, bis Stetio, der Stallknecht, auf sie aufmerksam wurde und sie die Übung unterbrechen mussten.
Auf einmal ist jemand hinter ihr. Clemeia, ihr Kindermädchen, packt sie und will sie wegschleppen. Sie stolpern ein paar Schritte in Richtung des großen Olivenbaums, und die Senatorentochter bemerkt verblüfft, dass Clemeia weint. Sie selbst empfindet erst nichts als Wut über den Angriff. Sie nimmt an, dass man sie alle töten will – es gehen Gerüchte, dass in der Hauptstadt wieder ein Kaiser vor seiner Zeit gestorben ist, und wer immer der nächste Kaiser von Pherenaïs sein wird, vielleicht hat er keine Verwendung für den Senat seines Vorgängers.
Dann ist da ein Durcheinander von Pferdebeinen und Gliedern, und ein Stück Stahl saust herab und dringt durch Clemeias Brust. Blut schießt hervor, und die Senatorentochter starrt fassungslos in ihre brechenden Augen. Auf einmal scheint sich alles ganz langsam abzuspielen, wie in einem Theaterstück, und alle Geräusche dringen nur von fern an ihr Ohr.
Sie denkt daran, wie Clemeia ihr das Haar bürstete und dabei sang. Sie hat sie nie verraten, wenn sie sich wieder herumtrieb.Unpassenderweise kommt ihr die Nacht in den Sinn, in der sie den Fealv mit einer der Mägde erwischte. Sie war noch zu jung, zu verstehen, was sie da taten, doch sie war alt genug, um eifersüchtig zu sein, als ein Kleidungsstück nach dem anderen wie Laub von den Bäumen fiel und sie wohlig zu stöhnen
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