Das Licht hinter den Wolken: Lied des Zwei-Ringe-Lands (German Edition)
solltest diesen Wein unbedingt probieren. Du willst mich doch nicht beleidigen? Er ist vorzüglich.« Ohne ihre Antwort abzuwarten entkorkte er die Flasche, nahm einen silbernen Kelch aus seiner Satteltasche, füllte ihn und drückte ihn in ihre Hand. Aufmunternd lächelte er sie an.
April erwiderte das Lächeln und nippte vorsichtig. Sie war überrascht, wie süß und vollmundig er schmeckte, ganz anders als die dünnen, sauren Weine, die sie kannte. Weil der Fremde sie nicht aus den Augen ließ, trank sie einen zweiten Schluck, dann noch einen.
»Ich danke Euch«, sagte sie.
»Aber nicht doch«, sagte er bescheiden. »Lass es dir schmecken. Das Gebot der Höflichkeit verlangt, Fremden in Not zur Seite zu stehen.«
»Sind wir weit von der nächsten Ortschaft entfernt?«, fragte sie und hielt sich die Stirn, weil ihr plötzlich schwindlig wurde.
»Gar nicht weit, gar nicht weit«, sagte der Fremde und nahm ihr den Kelch ab. »Du hättest es beinahe geschafft.«
»Was –«, versuchte April zu sagen, doch alles drehte sich um sie, und das Letzte, was sie sah, war das Lächeln des Fremden, das auf einmal ganz nah war und die Sonne verfinsterte. Etwas an diesem Lächeln war furchtbar falsch. Sie wollte um Hilfe schreien, doch da war seine Hand auf ihrem Mund. Sie roch sein Parfumund hörte seine leise Stimme in ihrem Ohr, als sie sich zur Wehr setzte, doch alle Kraft war aus ihren Gliedern gewichen.
»Entspann dich einfach«, sagte er. Dann wurde alles dunkel.
Als sie zu sich kam, war er verschwunden, mitsamt seinen Sachen. Er hatte ihr aber etwas Trockenobst dagelassen, und sein Taschentuch, das sie benutzte, um sich das Blut abzuwischen, obwohl der Stoff noch nach seinem Parfum roch.
Mühsam schleppte sie sich zum Teich und wusch sich mit kaltem Wasser. Sie zitterte am ganzen Körper, doch beinahe waren ihr die Schmerzen willkommen, denn sie verdrängten die Gefühle der Abscheu und der Schuld. Es begann wieder zu nieseln, und ohne einen klaren Gedanken zu fassen, schlang sie sich ihre alte Decke um, machte sich hustend auf und torkelte in Richtung des Waldes.
Als sie die Hände in die Taschen ihres Rocks steckte, merkte sie, dass er ihr auch die Brosche gestohlen hatte. Komischerweise war es jetzt erst, dass sie aufschrie und ihr für einen Moment das ganze Ausmaß ihrer hoffnungslosen Lage bewusst wurde.
Sie war eine endlose Zeit gelaufen, als sie abermals stürzte, es mussten Stunden gewesen sein, denn es dämmerte schon wieder. Sie war völlig durchnässt, ihr Kopf war heiß von Fieber, und ihre Lunge fühlte sich an, als sei sie mit Nadeln gespickt.
Zitternd kroch sie unter die Wurzeln einer Eiche und zog die Beine an die Brust. Eine große Ameise lief ihr über die Hand, aber April war zu schwach, sie zu vertreiben. Sie stellte sich vor, das Feuer, das hinter ihrer Stirn brannte, sei das Licht der anderen Sonne, das sie wärmte und ihr den Weg wies wie ein Leuchtfeuer am Meer, das sie nie gesehen hatte. Ihr Atem beruhigte sich. Wenigstens würde sie nicht mehr weitergehen müssen.
Da bemerkte sie, dass jemand in der Nähe war.
Der Wind schlug um und führte den Geruch von schwelendemHolz an ihre Nase. Und dann hörte sie eine Flötenmelodie, eine einfache Weise, wie man sie auch bei ihr im Dorf gespielt hatte. Sie wurde nicht sonderlich gut vorgetragen. Der unbekannte Spieler verhaspelte sich ein ums andere Mal, setzte aber immer wieder an, bis er die holprige Stelle gemeistert hatte. Sie dachte an Todd und die schrägen Lieder, die sie gesungen hatten.
Und etwas an der trotzigen Art des Vortrags hielt sie davon ab, einfach wegzudämmern. Vielleicht ärgerte es sie, in unmittelbarer Nähe eines so schlechten Musikers aufzugeben, ohne wenigstens noch einen Blick auf ihn geworfen zu haben.
Nach einer Ewigkeit war sie auf ihren Händen und Knien und kroch einen kleinen Hang nach oben. Dort zog sie sich an einem Baumstamm hoch, strich sich das verklebte Haar aus den Augen und blickte hinab auf die andere Seite.
Unter ihr brannte ein Feuer aus feuchten Scheiten, und dahinter am Boden lag eine kräftige Gestalt, die sich auf einer simplen Flöte abmühte. Der Feuerschein tanzte auf rötlichen Muskeln und Leder, doch das Gesicht des Mannes lag im Schatten. Neben ihm lagen ein Rucksack, eine Flasche und ein großes Schwert in einer Scheide. Unter den tiefen Ästen einer Tanne stand ein dunkles Pferd.
Da rutschte Aprils Fuß ein Stückchen weg, der Mann stutzte kurz, dann fuhr er in einer
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