Das Licht Von Atlantis
verborgene Kammer unter dem Grauen Tempel getragen, und er brachte es nicht über sich, sie dort lange alleinzulassen. Sie wimmerte unaufhörlich. Er hatte ihr ein schmerzstillendes Mittel gemischt, so stark, wie nur eben möglich, und sie gezwungen, es zu schlucken. Darauf war sie in unruhigen Schlaf versunken, und obwohl ihr schreckliches Wimmern nicht aufhörte, betäubte der Trank ihre Sinne gerade soweit, dass der schlimmste Schmerz gemildert wurde.
Schuldbewusst fiel Riveda wieder ein, was er über Micon gedacht hatte: Warum haben die Schwarzmäntel ihre höllischen Spiele nicht mit Personen ohne Bedeutung getrieben oder, wenn es schon soweit gekommen war, nicht wenigstens dafür gesorgt, dass ihre Opfer nicht entkommen konnten, um davon zu erzählen?
Er hätte Reio-ta ohne Gewissensbisse sterben lassen. Als Prinz von Ahtarrath war er juristisch schon seit Jahren tot, und was bedeutete ein wahnsinniger Chela mehr oder weniger? Deoris war jedoch die Tochter eines mächtigen Priesters. Ihr Tod würde eine gründliche und erbarmungslose Untersuchung nach sich ziehen. Talkannon ließ nicht mit sich spaßen, und Rajasta würde fast sicher zuerst Riveda verdächtigen.
Der Adept schämte sich seiner Schwäche ein wenig. Immer noch wollte er nicht einmal sich selbst eingestehen, dass er Deoris liebte, dass sie ihm unentbehrlich geworden war. Der Gedanke, sie könne sterben, bereitete ihm solche Qualen, dass er die Schmerzen in seinen verbrannten Händen vergaß.
Nach einem langen, konfusen Alptraum, in dem sie durch Flammen und Blitze und Schatten aus halbvergessenen grässlichen Erzählungen wanderte, öffnete Deoris die Augen und wunderte sich...
Sie lag auf einem breiten Steinbett in einem Haufen flaumiger Kissen. Darüber war eine der immerbrennenden Lampen angebracht, deren flackernde, schwankende Flamme die geschnitzten Figuren des Bettgeländers in groteske Horrorgestalten verwandelte. Die Luft war klamm und ziemlich kalt, und sie roch dumpf wie kalter Stein. Erst fragte Deoris sich, ob sie gestorben sei und in einem Gewölbe liege, und dann merkte sie, dass sie in feuchte, kühle Verbände eingewickelt war. In ihrem Körper war zwar ein fast unerträglicher Schmerz, aber alles war ganz weit weg, als gehörten die vielen Verbände zu jemand anderem.
Sie drehte mit Mühe den Kopf ein bisschen und sah Riveda, der ihr so vertraut war, dass sie ihn auch von hinten sofort erkannte. Vor ihm stand ein Mann, der Deoris einen kleinen Schauer des Entsetzens den Rücken hinunterjagte, denn es war Nadastor, ein Adept der Graumäntel. Mittleren Alters, hager und asketisch, war Nadastor von dunkler Schönheit und doch - unheimlich. Auch trug er nicht die graue Kutte eines Magiers, sondern einen langen schwarzen Rock, der mit seltsamen Emblemen bestickt war. Auf seinem Kopf saß eine hohe Mitra, und in den Händen hielt er einen dünnen Glasstab.
Nadastor sprach mit einer leisen, ausgebildeten Stimme, die Deoris etwas an die Micons erinnerte: »Du sagst, sie ist nicht saji... ?«
»Weit davon entfernt«, antwortete Riveda trocken. »Sie ist Talkannons Tochter und Priesterin.«
Nadastor nickte langsam. »Ich verstehe. Das ist etwas anderes. Wenn es nur um ein persönliches Gefühl ginge, würde ich immer noch sagen, du solltest sie sterben lassen. Aber -«
»Ich habe sie sakti sidhana gemacht.«
»Bei den Beschränkungen, die du dir ständig selbst auferlegst«, brummte Nadastor, »hast du viel gewagt. Ich bewundere dich geradezu. Ich wusste immer, dass du große Kraft besitzt, das war von Anfang an klar. Wenn es nicht die feigen Verbote des Rituals gäbe...«
»Ich habe die Verbote ein für allemal satt!« erklärte Riveda wild. »Ich werde so arbeiten, wie ich, und ich allein, es für richtig halte. Ich habe mich nicht geschont, um diese Macht zu erlangen, und niemand soll mir jetzt das Recht beschneiden, sie zu benutzen!« Er hob die linke Hand, rot und roh und schrecklich verunstaltet, und machte langsam eine Geste, die Deoris unwillkürlich aufkeuchen ließ. Dies Zeichen, mit der linken Hand geschlagen, war eine Blasphemie, die sogar im Grauen Tempel mit dem Tod bestraft wurde. Es schien einen Augenblick zwischen den Adepten in der Luft hängenzubleiben.
Nadastor lächelte. »So sei es. Zuerst müssen wir deine Hände retten. Das Mädchen -«
»Nichts geschieht ohne das Mädchen!« unterbrach Rajasta ihn heftig.
Nadastors Lächeln wurde spöttisch. »Für jede Stärke eine Schwäche«, meinte er, »sonst
Weitere Kostenlose Bücher