Das Licht Von Atlantis
Verzweiflung in ihrem Gesicht wich einer wehen Zärtlichkeit.
»Deine Mutter ist müde und krank, Töchterchen«, murmelte sie und nahm das Kindchen wieder an ihre Brust. »Ich glaube, sie wird dich schon noch lieben - wenn sie dich kennen gelernt hat.«
Domaris konnte vor Überanstrengung kaum noch sprechen; sie war mit ihrer Kraft nahezu am Ende. Sie hatte sich nie ganz von der brutalen Behandlung durch die Schwarzmäntel erholt; außerdem wagte sie es nicht, dies Geheimnis lange für sich zu behalten. Soweit sie beurteilen konnte, war Deoris körperlich nicht in Gefahr. Das Kind war leicht und so schnell geboren worden, dass nicht einmal Zeit geblieben war, Hilfe herbeizuholen. So litt sie nur an Unterkühlung und Schock, nicht aber an den Folgen der Geburt.
Domaris war sich nicht klar darüber, ob sie die Verantwortung für einen weiteren Menschen übernehmen durfte. Sie hielt das Kind immer noch warm an ihrer Brust geborgen, setzte sich auf einen niedrigen Schemel und dachte lange über die Zukunft ihrer kleinen Nichte nach.
Als Deoris erwachte, war sie allein. Sie lag still da, schlaflos, aber schwer vor Mattigkeit. Nach und nach kehrten mit Abklingen der Betäubungsmittel die Schmerzen in ihren verwundeten Körper zurück. Langsam und mühsam drehte sie den Kopf. Sie erkannte die undeutlichen Umrisse eines Binsenkorbs, und in dem Korb strampelte und wimmerte etwas. Träge stieg der Gedanke in ihr auf, dass sie das Kind jetzt gern halten würde, aber sie war zu schwach und zu müde, sich zu bewegen.
Was danach geschah, konnte Deoris niemals völlig ergründen. Sie schien die ganze Zeit halb im Schlaf zu liegen, mit offenen Augen, aber unfähig, ein Glied zu rühren oder zu sprechen. Sie war wie in einem Alptraum, ohne Orientierung, wo die Wirklichkeit begann und wo sie aufhörte - und später gab es niemanden, der ihr sagen konnte oder wollte, was in jener Nacht, nachdem sie Rivedas Kind geboren hatte, in der kleinen Hütte am Meer tatsächlich vorgefallen war...
Ihr war, als ging die Sonne unter. Das Licht lag rot auf ihrem blassen Gesicht und dem Korb mit dem Baby. Ihr Körper war vom Fieber glühend heiß, und lange Zeit stöhnte sie, nicht laut, aber untröstlich wie ein verletztes Kind.
Das Licht verwandelte sich in ein Meer aus blutigem Feuer, und der Chela kam herein. Sein dunkler Blick schweifte umher und begegnete dem ihren... Er trug eine bizarre, fremdartige Kleidung, geschmückt mit Symbolen einer unbekannten Priesterschaft.
Einen Augenblick lang glaubte sie, Micon stehe vor ihr - ein schmächtigerer, jüngerer Micon mit unrasiertem Gesicht. Nach einem forschenden Blick auf Deoris holte Reio-ta Wasser, goss es in einen Becher und hielt ihn ihr an die aufgesprungenen Lippen. Er stützte ihren Kopf so behutsam, dass es nicht wehtat. Dann hatte sie wieder den Eindruck, es sei Riveda, der dort in einem Nimbus rosigen Lichts stand, der sich niederbeugte und sie küsste, wie er es so selten in ihrem gemeinsamen Leben getan hatte. Doch die Illusion verschwand, und sie sah wieder nur das ernste junge Gesicht Reio-tas, der den Becher wegnahm.
Er blieb eine Minute stehen. Zuerst sah er sie nur an. Doch dann begann er, die Lippen zu bewegen, aber seine Stimme schien aus unglaublicher Entfernung zu kommen, und Deoris, deren Bewusstsein sich wieder trübte, verstand, so sehr sie sich auch bemühte, kein einziges Wort. Endlich drehte er sich um und hob das Kind aus dem Binsenkorb. Deoris, in einer Art Wachtraum liegend, sah zu, wie er im Raum umherwanderte, das Kind auf den Armen. Er trat wieder zu ihr. Auf ihrem Strohsack fand er einen langen blauen Schal, gewebt und mit geknoteten Fransen besetzt - das Eigentum der Priesterin Caratras. Er wickelte das Kind hinein, nahm es ungeschickt auf den Arm und ging fort.
Durch das Geräusch beim Schließen der Tür wurde Deoris vollends wach. Sie keuchte auf. Die kleine Hütte wurde von dem Licht der untergehenden Sonne nur noch schwach erhellt, und es befand sich außer ihr keine lebende Seele darin. Nirgendwo war ein Geräusch zu hören außer dem Klatschen der Wellen und den Schreien der in der Luft kreisenden Möwen.
Lange Zeit lag sie still, während das Fieber durch ihre Adern kroch und wie Feuer in den Narben auf ihrer Brust brannte. Die Sonne tauchte in einem Flammenmeer unter. Dunkelheit senkte sich herab und legte sich schwer auf ihr Herz. Nach vielen Stunden kam Elis (oder war es Domaris) mit einem Licht, und Deoris sprudelte ihren Traum hervor.
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