Das Licht Von Atlantis
Tränenschleier in rötlichem Licht. Die bröckeligen Steine der Gartenmauer drückten gegen ihre Schultern, und taten ihr weh aber ohne fremde Hilfe hätte sie nicht stehen können. Plötzlich hörte sie das Rauschen von Wellen und da wusste sie, dass sie in Ufernähe war.
»Dir kann man keinen Vorwurf machen«, sagte Karahama mit einer so sanften Stimme, dass sie kaum das Geräusch des Meeres übertönte. »Auch ihm nicht - oder mir, Deoris! Alle diese Dinge sind finster wie Schatten. Ich bitte dich, gehe in Frieden, kleine Schwester... deine Stunde ist nahe, und es mag sein, dass du eines Tages selbst andere verfluchen wirst...«
Deoris bedeckte das Gesicht mit den Händen, dann wurde die Welt um sie dunkel und ein Abgrund öffnete sich hinter ihr. Sie hörte sich selbst schreien, und dann stürzte sie - Ewigkeiten lang, während das Licht der Sonne langsam verlöschte.
10. VISIONEN
Als Deoris nicht nach Hause kam, wurde Domaris allmählich ängstlich, und schließlich machte sie sich auf die Suche nach ihrer Schwester - ohne Erfolg. Die Schatten wurden lang, und immer noch suchte sie. Aus ihrer Unruhe wurden böse Vorahnungen und schließlich Entsetzen. Die Worte, die Deoris ihr vor Jahren im Zorn entgegengeschleudert hatte, hallten in ihrem Kopf wider: An dem Tag, an dem ich erfahre, dass ich schwanger bin, werde ich mich ins Meer stürzen...
Endlich ging sie, beinahe krank vor Angst, zu dem einzigen Menschen im ganzen Tempelbezirk, auf dessen Beistand Domaris jetzt zählen konnte, und bat ihn um Hilfe. Reio-ta war weit davon entfernt, über ihre unbestimmten Ängste zu lachen; ihn quälten die gleichen Vorstellungen wie sie. Zusammen mit seinen Dienern suchten sie die ganze Nacht, am Strand, an dem trübrote Feuer brannten, auf den Wegen und in den Dickichten der Gärten. Gegen Morgen fanden sie sie. Ein Stück der Mauer oberhalb des Strandes hatte nachgegeben, und die beiden Frauen lagen halb im Wasser. Karahamas Kopf war von fallenden Steinen zerschmettert worden, und Deoris' blutender, halbnackter Körper war so gekrümmt, dass sie ein paar qualvolle Minuten lang glaubten, auch sie sei tot.
Sie trugen sie in eine Fischerhütte nahe der Flutmarke, und dort, bei qualmendem Kerzenlicht, ohne andere Hilfe als die ungeschickten Hände von Domaris' Sklavin, wurde Eilantha geboren, deren Name am selben Tag in die Schriftrollen des Tempels eingetragen worden war. Ein winziges, zart geformtes Mädchen wurde zwei Monate zu früh in eine ungastliche Welt hinausgestoßen und war so schwach, dass Domaris kaum zu hoffen wagte, es werde überleben. Sie wickelte es in ihren Schleier und legte es in dem verzweifelten Bemühen, es durch Wärme zu beleben, unter ihrem Kleid an die eigene Brust. Weinend saß sie da, in wiedererwecktem Kummer um ihr eigenes verlorenes Kind, während die Sklavin Deoris versorgte und Reio-ta half, ihren gebrochenen Arm zu richten...
Nach einiger Zeit regte der Säugling sich und begann schwach zu wimmern, und sein dünnes Stimmchen drang bis zu Deoris vor. Domaris trat schnell zu ihr und beugte sich über sie.
»Versuche nicht, den Arm zu bewegen, Deoris; er ist oben an der Schulter gebrochen.«
Deoris' Antwort war weniger als ein Flüstern. »Was ist geschehen? Wo -« Dann flutete die Erinnerung zurück. »Oh! Karahama hat -«
»Sie ist tot, Deoris«, sagte Domaris leise. Ihr schoss die Frage durch den Kopf: Hatte Deoris sich selbst über die Mauer gestürzt und Karahama, die sie daran hindern wollte, mit sich gerissen - oder waren beide einfach gefallen - oder hatte Karahama ihre Schwester über die Mauer gestoßen? Niemand, nicht einmal Deoris, sollte es je erfahren.
»Wie hast du mich gefunden?« fragte Deoris teilnahmslos.
»Reio-ta hat mir geholfen.«
Deoris' Augen fielen müde zu. »Warum konnte er sich nicht... dies eine letzte Mal... um seine eigenen Angelegenheiten kümmern?« Sie wandte das Gesicht ab. Das Kind an Domaris' Brust begann von neuem zu wimmern, und Deoris hob noch einmal die Lider. »Was ist - ich habe doch nicht -«
Vorsichtig hielt Domaris das Neugeborene ihrer Schwester hin. Aber Deoris warf nur einen teilnahmslosen Blick auf das kleine Wesen und schloss die Augen wieder. Sie empfand nichts außer einer vagen Erleichterung. Das Kind war kein Ungeheuer - und in dem runzligen, affenähnlichen Gesicht fand sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit Riveda.
»Nimm es weg«, sagte sie matt und schlief ein.
Domaris blickte auf die junge Mutter nieder, und die
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