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Das Liebesleben der Hyäne

Das Liebesleben der Hyäne

Titel: Das Liebesleben der Hyäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Tage danach bekam ich einen Brief von Lydia. Es war ein langes Gedicht, und es begann: »Komm heraus, alter Troll Komm aus deinem dunklen Loch, alter Troll Komm heraus zu uns in die Sonne und Laß dir von uns Gänseblümchen ins Haar stecken …« Und dann erzählte mir das Gedicht, was für ein schönes Gefühl es sein würde, auf den Feldern zu tanzen mit diesen rehbraunen Elfen, die mir Freude bringen und die Augen öffnen würden. Ich verstaute den Brief in einer Schublade meiner Kommode.
    Am nächsten Morgen weckte mich jemand, der an die Scheibe meiner vorderen Tür klopfte. Es war 10.30 Uhr.
    »Laß mich in Ruhe«, sagte ich.
    »Ich bin’s. Lydia.«
    »Ach so. Augenblick.«
    Ich zog mir ein Hemd und eine Hose an und schloß die Tür auf. Dann rannte ich ins Badezimmer und übergab mich. Ich versuchte es mit Zähneputzen, doch dabei kam es mir gleich noch einmal hoch – der süße Geschmack der Zahncreme drehte mir den Magen um. Ich ging raus.
    »Dir ist schlecht«, sagte Lydia. »Soll ich lieber gehn?«
    »Ach was, mir fehlt nichts. Ich wach jeden Morgen so auf.«
    Lydia sah gut aus. Die Sonne schien durch die Vorhänge auf sie herein. Sie hatte eine Orange, die sie in die Luft warf und wieder auffing. Die Orange segelte durch die Sonnenstrahlen.
    »Ich muß gleich wieder weg«, sagte sie. »Wollte dich nur was fragen.«
    »Nur zu.«
    »Ich bin Bildhauerin. Ich möchte deinen Kopf modellieren.«
    »Meinetwegen.«
    »Dazu mußt du aber zu mir kommen. Ich hab kein Atelier. Wir müssen es bei mir in der Wohnung machen. Du wirst mir doch nicht nervös werden, oder?«
    »Nein.« Ich schrieb mir ihre Adresse auf, und sie erklärte mir, wie ich fahren mußte.
    »Sieh zu, daß du bis elf da bist. Gegen drei kommen die Kinder von der Schule zurück. Da bin ich zu sehr abgelenkt.«
    »Ich bin um elf da«, sagte ich …
    Und dann saß ich Lydia gegenüber, in ihrer Frühstücksnische. Zwischen uns saß ein großer Klumpen Lehm. Sie fing an, mir Fragen zu stellen.
    »Leben deine Eltern noch?«
    »Nein.«
    »Gefällt dir Los Angeles?«
    »Besser als jede andere Stadt.«
    »Warum schreibst du immer so über Frauen?«
    »Wie denn?«
    »Du weißt schon.«
    »Nein. Sag doch.«
    »Na, ich finde es einfach verdammt schade, daß ein Mann, der so gut schreibt wie du, von Frauen überhaupt keine Ahnung hat.«
    Darauf sagte ich nichts.
    »Verdammt! Wo hat mir Lisa schon wieder mein …«
    Sie suchte die Küche nach irgendeinem Werkzeug ab.
    »Ach, immer diese kleinen Mädchen, die ihrer Mutter die Sachen wegschleppen!«
    Sie fand einen Ersatz. »Dann muß es eben mit dem hier gehn. Jetzt halt still. Entspann dich, aber sitz still.«
    Ich sah sie an. Sie bearbeitete den Lehmklumpen mit einem hölzernen Gegenstand, der vorne eine Drahtschleife hatte. Sie fuchtelte mit dem Ding vor mir herum, über dem Batzen Lehm. Ich ließ mich nicht ablenken. Ihre Augen sahen mich an. Ihre Augen waren groß und dunkelbraun. Sogar das Auge, das nicht ganz zum anderen paßte, sah gut aus. Ich sah ihr unentwegt in die Augen. Lydia arbeitete. Die Zeit verging. Ich war in Trance. Plötzlich sagte sie: »Wie wär’s mit einer Pause? Lust auf ein Bier?«
    »Gut. Ja.«
    Als sie aufstand und an den Kühlschrank ging, folgte ich ihr. Sie nahm eine Flasche Bier heraus und machte die Tür wieder zu. Als sie sich umdrehte, legte ich ihr meinen Arm um die Taille und zog sie an mich. Ich preßte meinen Körper an sie, meinen Mund auf ihre Lippen. Sie hielt die Bierflasche auf Armeslänge von sich. Ich küßte sie. Ich küßte sie noch einmal. Lydia schob mich weg.
    »All right«, sagte sie, »das reicht. Wir haben zu arbeiten.«
    Wir setzten uns wieder, ich trank mein Bier, und Lydia rauchte eine Zigarette. Zwischen uns war wieder der Lehm. Dann klingelte es an der Tür. Lydia ging hin und machte auf. Ein dickes Weib stand da, mit einem gehetzten weinerlichen Blick in den Augen.
    »Das ist meine Schwester Glendoline.«
    »Hi.«
    Glendoline nahm sich einen Stuhl und begann zu reden. Und die konnte reden. Sie hätte eine Sphinx sein können, sie hätte versteinert sein können, und sie hätte trotzdem noch geredet. Ich fragte mich, wann sie endlich abschlaffen und gehen würde. Selbst als ich ihr schon längst nicht mehr zuhörte, spürte ich immer noch, wie es auf mich einprasselte, wie ein Hagel von winzigen Tischtennisbällen. Glendoline hatte keinerlei Zeitgefühl, und daß sie möglicherweise stören könnte, kam ihr nie in den Sinn. Sie redete und

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