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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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Ein paar Worte vorweg
    Ein Buch zu schreiben heißt, sich seiner Vergangenheit zu stellen, und ich staune, was beim Erzählen alles wieder auftaucht: der Moment des Schreckens, die Stunden der Angst, das peinliche Gefühl der Niederlage, das berauschende Gefühl des Triumphs. Nichts ist vergangen, alles ist auf einmal wieder da– eine geballte Ladung Leben, und zwar das eigene. Dann weint man, weil es so schön oder so traurig war, man lacht, weil das Erfolgserlebnis von damals immer noch lebendig ist, und staunt, weil das Sinnlose plötzlich sinnvoll erscheint. Man steckt eben immer noch drin, im selben Leben, in derselben Haut, nur dass der Mensch inzwischen nicht mehr Razia und nicht mehr Joe Rilla heißt, nicht mehr Tischtennismeister der DDR , nicht mehr Sprüher, nicht mehr Rapper, nicht mehr Türsteher und auch nicht mehr Kleinganove ist, sondern Haudegen. Manchmal ist man sich selbst fremd, manchmal schüttelt man über sich selbst den Kopf, manchmal würde man sich lieber nicht so genau erinnern, aber am Ende, wenn alles erzählt und aufgeschrieben ist, spürt man: Es hat gutgetan, das Ganze einmal in allen Einzelheiten hervorgekramt und ausgesprochen zu haben; es war fast wie eine Therapie.
    Im Grunde erzähle ich von einer langen Suche. Einer Suche nach einem Ziel, einer Lebensaufgabe, einer Bestimmung vielleicht. Einer Suche, auf der ich viele Umwege eingeschlagen habe und auf Abwege geraten bin. Es gibt so viele Geschichten, an die ich heute mit Schrecken und Scham zurückdenke, so vieles, was ich heute kaum noch nachvollziehen kann. Wer war dieser wütende junge Typ? Was war los mit uns, dass wir uns gegenseitig die Köppe eingeschlagen haben und ein krummes Ding nach dem anderen drehen mussten? Gewalt und Betrug gehören nicht mehr zu mir. Aber ich möchte mich diesem Typen von damals stellen, noch einmal er sein, um ihn zu verstehen. Dass sich die Geschichte meiner Suche über weite Strecken wie ein Kampf liest, liegt also an mir, daran, dass ich komplett in mein altes Leben eingetaucht bin und ehrlich davon berichten möchte, wie es sich damals angefühlt hat. Es liegt aber auch an den Umständen. Ich befand mich mittendrin in einem Abschnitt der deutschen Geschichte, der im Einzelnen noch kaum bekannt ist, über den ich hier vielleicht als Erster schreibe und den man so auch nur erleben konnte, wenn man die Jahre vor und nach der Wende im Ostberliner Arbeiterklassestadtteil Marzahn verbracht hat. Denn was als sozialistisches Utopia gedacht war, verwandelte sich in einen kapitalistischen Albtraum, der sich wiederum als fabelhafte Schule des Lebens herausstellte, sodass ich lange Zeit hin- und hergerissen war zwischen Hass und Liebe zu diesem kaputten, chaotischen und gleichzeitig lebensprühenden, energiegeladenen Ort. Heute sage ich: Marzahn ist wundervoll. Marzahn ist mein Zuhause.
    Im weiteren Sinne ist das heute natürlich ganz Berlin. Der Großstadtdschungel ist meine Heimat. Und ich werde in diesem Buch auch nur selten über die Grenzen dieser Stadt hinausgehen, denn ich schreibe zwar als Sänger von Haudegen, aber die Geschichte von Haudegen will ich mir für ein zweites Buch aufsparen. Man wird also diesmal noch nichts über mein Treffen mit dem Bundesinnenminister oder über den Überraschungserfolg unseres Debütalbums erfahren, dafür aber alles, was vorher geschah, was mich als Mensch wie als Musiker geprägt hat und den Erfahrungsschatz bildet, aus dem ich heute schöpfe. Dieses Buch hört also genau da auf, wo Haudegen anfängt, und wenn es euch damit genauso geht wie mir, dann werdet ihr auch eine Pause brauchen können.
    Mit anderen Worten: Wir sehen uns wieder. Aber jetzt erst einmal mit einem kurzen Sprung zurück in die guten, alten, wilden Zeiten.

1 | Aufbruchsstimmung
    Ja, Marzahn.
    Immer noch fahre ich manchmal hin. Auf der Landsberger Allee nach Osten, bis das vertraute Panorama vor mir auftaucht, Plattenbauriegel, mal elf, mal achtzehn, mal zweiundzwanzig Stockwerke hoch, heute bunt, früher grau. Grau mit einem Stich ins Schlammige. Alle aus demselben Baukasten. Das Paradebeispiel sozialistischen Wohnungsbaus.
    Platte links, Platte rechts, auch auf der Allee der Kosmonauten. Triumph der Kastenform, Diktatur des Rechtwinkligen. Und plötzlich Kopfsteinpflaster. Niedrige Häuser aus der bäuerlichen Vorzeit, als Marzahn der Name eines winzigen Dorfes vor den Toren Berlins war. Alle um einen lang gestreckten Platz angeordnet, die alte Dorfkirche in der Mitte. Braunrote

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