Die Doppelgaengerin
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Die meisten Menschen finden Cheerleading albern. Wenn die wüssten …
Das typisch amerikanische Girl, das bin ich. Wer sich die Fotos in meinem High-School-Jahrbuch anschaut, sieht ein Mädchen mit langen blonden Haaren, sonnengebräunter Haut und einem strahlenden Lächeln über blendend weißen Zähnen, bezahlt mit Tausenden von Dollar für Spangen und Bleichmittel. Die weißen Zähne natürlich, nicht die Haare und die Haut. Ich hatte die unerschütterliche Selbstsicherheit einer Teenager-Prinzessin aus der oberen Mittelschicht; mir konnte nichts Schlimmes zustoßen. Immerhin war ich Cheerleader.
Ich gebe es zu. Quatsch, ich bin stolz darauf. Wir Cheerleader werden oft für hirntote Schnepfen gehalten, aber nur von Leuten, die selbst nie Cheerleader waren. Ich verzeihe ihnen ihre Ahnungslosigkeit. Cheerleading ist harte Arbeit, es ist ein anstrengendes Zusammenspiel von Geschick und Kraft, und es ist nicht ungefährlich. Immer wieder kommt es dabei zu Verletzungen, manchmal sogar zu Todesfällen. Vor allem die Mädchen sind gefährdet; die Jungs sind die Werfer, die Mädchen werden geworfen. Im Fachjargon heißen wir »Flyer«, was totaler Blödsinn ist, weil wir natürlich nicht fliegen können. Wir werden geworfen. Und die Mädchen, die geworfen werden, sind diejenigen, die auf den Kopf fallen und sich den Hals brechen können.
Na gut, den Hals habe ich mir nie gebrochen, aber dafür den linken Arm und das Schlüsselbein, und einmal renkte ich mir das rechte Knie aus. Die Zerrungen und Prellungen habe ich nie gezählt. Aber ich kann exzellent balancieren, habe schöne, straffe Beine und kann immer noch einen Rückwärts-Flickflack und einen Spagat machen. Außerdem habe ich das College über ein Cheerleading-Stipendium finanziert. Ist das ein cooles Land oder was?
Also, ich heiße jedenfalls Blair Mallory. Ja, ich weiß. Ein echt zickiger Name. Er passt zu Cheerleading und blonden Haaren. Aber ich kann nichts dafür; meine Eltern haben mich so getauft. Mein Vater heißt auch Blair, darum muss ich mich wohl glücklich schätzen, dass sie bei meiner Taufe nicht einfach ein Junior hinter seinen Namen gesetzt haben. Ich glaube nicht, dass ich zur beliebtesten Schülerin unserer High School gewählt worden wäre, wenn ich Blair Henry Mallory Junior geheißen hätte. Blair Elizabeth reicht völlig, vielen Dank. Ich meine, in Hollywood geben die Leute ihren Kindern Namen wie Homer, ohne Witz. Wenn diese Kinder irgendwann erwachsen werden und ihre Eltern umbringen, sollten sie meiner Meinung nach allesamt auf Notwehr plädieren und freigesprochen werden.
Was mich zu dem Mord bringt, den ich gesehen habe.
Na schön, das tut es nicht wirklich, aber immerhin ist es einigermaßen logisch. Die Verbindung, meine ich.
Und echt amerikanischen Cheerleadern stoßen sehr wohl schlimme Sachen zu. Immerhin war ich verheiratet, oder etwa nicht?
Auch das hat irgendwie mit dem Mord zu tun. Ich heiratete Jason Carson direkt nach dem College und hieß daraufhin vier Jahre lang Blair Carson. Natürlich war es dumm von mir, jemanden zu heiraten, bei dem sich der Vorname auf den Nachnamen reimt, aber hinterher ist man immer schlauer. Jason war ein Vollblutpolitiker: im Studentenrat, im Wahlkampfkomitee für seinen Vater, einen Abgeordneten im Parlament von North Carolina, oder für seinen Onkel, den Bürgermeister – bla bla bla. Jason sah so phantastisch aus, dass manche Mädchen echt ins Stottern kamen. Blöd, dass er das genau wusste. Er hatte dichtes, sonnengeküsstes Haar (ein poetischer Ausdruck für blond), gemeißelte Gesichtszüge, dunkelblaue Augen und einen durchtrainierten Body. Ähnlich wie bei John Kennedy jun. Der Body, meine ich.
Zusammen waren wir das Reklamepaar für blondes Haar und ein blendendes Gebiss. Und mein Body war auch nicht ohne, wenn ich mal so sagen darf. Mussten wir da nicht heiraten?
Vier Jahre später entheirateten wir uns wieder, zu unserer beiderseitigen großen Erleichterung. Schließlich hatten wir außer unserem Aussehen nichts gemeinsam, und ich glaube nicht, dass sich allein darauf eine Ehe gründen lässt, oder? Jason wollte unbedingt ein Kind, damit wir wie die typisch amerikanische Familie aussahen, während er auszog, um der jüngste Kongressabgeordnete aller Zeiten in North Carolina zu werden, was mich, falls es jemand interessiert, stinksauer machte, weil er bis dahin um keinen Preis ein Baby wollte, und plötzlich sollte ich eins bekommen, nur weil es sich im Wahlkampf so
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