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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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einem Stein. Wenigstens gelang es Duncan, selbst nicht allzu viel einstecken zu müssen. Der Hüne war zwar stark wie ein Ochse, aber auch genauso schwerfällig.  
    Duncan hörte kaum, wie sich das schwere Gitter, das die Sträflingsunterkünfte verschloss, öffnete. Dann riss man ihn unsanft zurück. Zwei Wärter, flankiert von drei bewaffneten Marinesoldaten, traten zwischen sie.  
    »Was ist hier los?«, herrschte einer die beiden Kontrahenten an.  
    Duncan blickte schwer atmend zu Fitzgerald auf. Er konnte nur verlieren. Und so schwieg er, auch wenn sich alles in ihm gegen die Ungerechtigkeit auflehnte, als sich schwere Ketten um seine Hand- und Fußgelenke schlossen. Es tröstete ihn nur wenig, dass der Hüne sein Schicksal teilte. Und jetzt hatte er sich auch noch einen Feind gemacht.  
    *  
    Das Sonnenlicht war so hell, dass Duncan für einige Sekunden geblendet war und fast nichts sah. Hinter ihm schoben und drängten weitere Gefangene. Jeder wollte nach oben, zum Licht, zur Weite und endlich hinaus aus dem stickigheißen Zwischendeck.  
    Duncan genoss die frische Brise, die ihm um die Nase wehte, und ließ Luft in seine Lungen strömen. Wie ein Tier, das lange geschlafen hatte, spürte er seine Sinne, die unter Deck wie in dumpfer Umnachtung gelegen hatten, wieder erwachen. Seine Nasenflügel weiteten sich, als er die reine, würzige Meeresluft einsog.  
    Heute war wieder Waschtag, wie die Sträflinge es nannten. Zwei Dutzend von ihnen drängten sich vor dem großen, mit Seewasser gefüllten Zuber, vor den ein Sichtschutz aus Segeltuch gespannt war, um den Passagieren nicht den Anblick der unbekleideten Gefangenen zuzumuten. Dort streifte sich bereits der Erste sein Hemd über den Kopf und schlüpfte aus seiner Hose.  
    Jeder der Gefangenen hatte dieselbe Ausstattung erhalten: je zwei Hosen, Hemden und Röcke, je zwei Paar Strümpfe und Schuhe, einen Hut, eine Weste aus Flanell sowie Nähzeug und zwei Decken. In diesen Breiten trugen die meisten aber nicht mehr als ihre Hosen. Je weiter südlich sie fuhren, desto heißer wurde es im Zwischendeck. Manche Gefangenen hatten sogar ihre Decken über Bord geworfen, ohne zu bedenken, dass es wieder kälter werden würde.  
    Duncan rieb sich die Handgelenke, wo die Spuren der schweren Kettenglieder kaum noch sichtbar waren. Die zwei Tage in Ketten waren ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. In diesem Moment tat ihm Fitzgerald fast leid, der als Konsequenz einer erneuten Prügelei bereits wieder im feuchten, dunklen Kettenkasten schmoren musste. Der Mann war anscheinend unbelehrbar.  
    Anfangs hatten die meisten Gefangenen das Waschen, dem man sie bei gutem Wetter jeden zweiten Tag unterzog, nicht gutgeheißen, aber inzwischen konnten sie es kaum mehr erwarten, sich endlich den Schweiß und den Schmutz von der Haut spülen zu dürfen. Ein Wärter rasierte sie. Duncan fand, die Überfahrt hätte schlimmer sein können. Bisher hatte niemand die Neunschwänzige zu spüren bekommen, das Essen war reichlich, wenn auch ein wenig eintönig, und sofern das Wetter es zuließ, hatten sie fast jeden Tag Ausgang auf Deck.  
    Die See war spiegelglatt, lag unter ihnen wie geschmolzenes Silber. Am Horizont konnte er noch die Masten der drei Schiffe erkennen, die sie bis hierher eskortiert hatten. Hinter ihnen lag Madeira, eine Insel vor der Küste Afrikas, wo die Minerva und die Friendship Proviant aufgenommen hatten. Ab hier würden die beiden Sträflingsschiffe alleine weiterfahren, wie er aus den Gesprächen der Mannschaft aufgeschnappt hatte.  
    Duncan ließ sich von der Sonne bescheinen. Es war angenehm warm hier oben, ein Windhauch streichelte seine Haut. Viel besser als in der stickigen Enge des Zwischendecks, in das man sie gleich wieder treiben würde.  
    Hinter ihm entstand ein Gedränge und Geschubse. Jeder wollte als Nächster an der Reihe sein. Der alte Mann vor ihm stolperte und wäre fast gefallen, doch er fing sich und wankte vorwärts. Der Greis, den man zu lebenslanger Verbannung verurteilt hatte, würde seine Heimat nie wiedersehen.  
    Duncan nahm eine Bewegung am anderen Ende des Schiffes wahr, dort, wo ein hölzernes Gitter die Sträflinge von den anderen Reisenden trennte. Heute schien jedermann das gute Wetter und die ruhige See genießen zu wollen. Zwischen einigen Offizieren und den Matrosen, die sich die Zeit mit Tauspleißen und Segelflicken vertrieben, gingen ein paar Passagiere auf und ab. Duncan erkannte Joseph Holt, den Rebellengeneral, wie

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