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Das Lied der roten Erde (German Edition)

Das Lied der roten Erde (German Edition)

Titel: Das Lied der roten Erde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inez Corbi
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Prostituierte oder Taschendiebinnen. Moira hatte schon versucht, mit ihnen zu reden, war aber stets an den Wachhabenden gescheitert. Es durfte keinen Umgang zwischen Passagieren und Sträflingen geben.  
    Um Übergriffen vorzubeugen – und wohl auch, um eine für beide Seiten angenehme Regelung zu schaffen –, hatte Captain Salkeld zugestimmt, diese Frauen für die Dauer der Reise mit ledigen Seemännern oder Soldaten zu verheiraten. Nur für zehn von ihnen hatte sich kein passender Kurzzeitehemann gefunden.  
    Eine junge Frau, fast noch ein Kind, hatte sich von den anderen abgesondert. Während die anderen lärmend und lachend an Deck standen und dem wachhabenden Soldaten derbe Scherze zuriefen, drückte sie sich an die Reling und behielt den Mann ängstlich im Blick. Sie musste in Ivys Alter sein, aber wo Ivy strahlende Haut und glänzendes Blondhaar aufwies, war dieses Mädchen blass und unterernährt, und ihr strähniges Haar hatte die Farbe von stumpfem Braun.  
    Moira überlegte nicht lange. Kurzentschlossen rief sie einen der Schiffsjungen zu sich und bat ihn, in die Kombüse zu gehen und sich vom Schiffskoch so viel wie möglich von dem Obst geben zu lassen, das sie aus Rio de Janeiro mitgenommen hatten. Die süßen Früchte schmeckten herrlich, verdarben in dem warmen Klima aber leider nur allzu schnell.  
    Der Junge kehrte bald wieder, beladen mit einem Korb, in dem sich Orangen, Guaven und Bananen stapelten. Moira nahm ihn und ging damit bis an die hölzerne Absperrung. Sofort trat ihr der wachhabende Soldat entgegen – Hauptgefreiter Hobbs, wie Moira einfiel. Jetzt erinnerte sie sich wieder: Kurz vor der Abreise hatten er und seine mitreisende Frau ihren kleinen Sohn durch ein Fieber verloren.  
    »Madam, bitte. Ihr kennt die Regeln. Kein Kontakt zu den Gefangenen.«  
    »Die Regeln?« Moira spürte ihr Herz schneller schlagen vor Aufregung. Sie log nicht gerne. Aber diesmal, entschied sie, rechtfertigte der Zweck dieses Mittel. Und so richtete sie sich auf und legte ihre ganze Autorität in ihre Stimme. »Nun, dann wisst Ihr sicher von der neuen Anweisung des Captains, dass die Frauen mit frischem Obst zu verköstigen sind.«  
    »Eine neue Anweisung?« Hobbs verzog spöttisch das Gesicht, sein vorstehender Adamsapfel hüpfte. »Wieso habe ich dann noch nichts davon gehört?«  
    Moira spielte die Erstaunte. »Das frage ich mich allerdings auch, Hauptgefreiter Hobbs. Ich glaube nicht, dass der Captain erfreut wäre, von der Missachtung seiner Befehle zu erfahren.«  
    »Ist ja gut, ist ja gut«, brummte Hobbs verunsichert. »Dann gebt es in drei Teufels Namen her.« Er schulterte sein Gewehr, nahm den Korb entgegen und murmelte etwas, dem Moira »Perlen vor die Säue geschmissen« entnehmen konnte. Dann drehte er sich zu den Frauen um. »He, ihr Metzen! Die Lady hier ist so großzügig und schenkt euch was.«  
    Sofort erhob sich großes Geschrei, und Moira sah zu, wie die Frauen sich um die Früchte stritten und das Deck bald übersät war mit Obstschalen.  
    Das Mädchen, das Moira vorhin aufgefallen war, stand weiterhin abseits. Es tat Moira leid, denn jedes Mal, wenn es nach einem Stück Obst greifen wollte, hatte es schon jemand anderes an sich gerissen.  
    Moira fand eine einzelne Orange in ihrer Rocktasche, die sie eigentlich für sich selbst aufgehoben hatte. Mit der Frucht in der Hand ließ sie sich am Gitter nieder. Ihr Blick suchte den des Mädchens, dann steckte sie die Orange durch das Gitter und gab ihr einen leichten Stoß. Sie rollte, von den anderen unbeachtet, einige Meter über Deck in Richtung Reling, wo sich das Mädchen rasch bückte und sie aufhob. Dann blickte sie Moira an, und ein scheues Lächeln erschien auf dem farblosen Gesicht. Moira lächelte zurück und schenkte dem Mädchen ein verschwörerisches Augenzwinkern.  
    Sie hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.  
    *  
    »Die gebratenen Yamswurzeln waren wirklich ganz ausgezeichnet.« Dr. Price wischte sich den Mund an einer Serviette ab und nickte seinem Gegenüber zu. »Findet Ihr nicht auch, Dr. McIntyre? Ich habe selten etwas so Schmackhaftes gegessen.«  
    McIntyre nickte steif und schob seinen nur halb geleerten Teller zurück. »Ich ziehe Kartoffeln vor. Und ein gutes Stück Fleisch.« Er nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. Alle anderen tranken Punsch. Moira hatte sich schnell an das süffige Getränk aus stark verdünntem Rum, Zitronen und Gewürzen gewöhnt, das jeden Samstag

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