Das Lied von Schnee & Liebe (The Empires of Stones, Band 2) (German Edition)
die beiden Polsterstühle vor sich mit Giftpfeilen schießen, das Aufnahmegerät aktivieren oder die Chimäre wecken. Noch hatte er sie nicht benutzen müssen, aber man konnte ja nie wissen.
Er ließ sich in den roten Sessel fallen und seufzte. Es war ein anstrengender Tag gewesen, viel war geschehen. Szuda drückte einen Knopf auf der oberen Tischplatte und bestellte sich einen warmen Kakao aus der Kantine, dazu ein paar Kekse und einen halbierten Apfel.
Plötzlich klappte ein Teil des Tisches in die Tiefe und ein seltsam anmutendes Telefon schwang heraus. Der Ingenieur und Zauberer Alexander Graham Bell hatte es entwickelt. Er war äußerst geschickt darin, Dinge zu verbessern. So hatte er sich gedacht, dass man doch das Telefon mit der Magie der Wächteraugen kombinieren könne. Herausgekommen war ein länglicher, messingbeschlagener Kasten mit einer augenförmigen Linse darin, einem Hörer daneben und über den beiden schwebte ein Wächterauge, das träge seine Kupferlider öffnete, sobald man den Hörer abnahm. So konnte man den Anrufer nicht nur hören, sondern auch sehen. Da Leonardo solch technischen Schnickschnack sehr mochte, stand natürlich das erste dieser Reihe in seinem Büro, mit der Nummer 0001.
Leider war die Reichweite sehr begrenzt und bisher auf Manhattan beschränkt.
Szuda nahm den Hörer aus der Gabel, wodurch das Wächterauge aktiviert wurde. Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Linse und gleichzeitig erschien auf dem Bildschirm das Gesicht eines Mannes. Es war kein klares Bild, sondern wirkte eher wie eine alte Fotografie in wackeligen Sepiatönen. Dennoch konnte man sein Gegenüber gut erkennen.
»Janus, haben Sie etwas herausgefunden?« Der Mann stand in einer der noch seltenen Telefonzellen, die mittlerweile an Schlüsselpunkten der Stadt aufgestellt worden waren. Wenn der Hintergrund nicht trog, so stand Janus in der Grand Central Station, dem größten Bahnhof Manhattans.
»Einiges, Mr. Szuda. Dieser Simon Sutherland ist im Vorstand der New York National Bank. Ein zäher, alter Knochen, sagt man.«
Leonardo erinnerte sich dunkel. Auf einem Bankett zur Förderung der magischen Wissenschaften hatte er ihn einmal aus der Ferne gesehen. Ein großer, hagerer Mann mit langem grauen Haar, das Gesicht asketisch und eingefallen.
»Sutherland stellte sich vor einiger Zeit gegen einige neue Projekte. Er und zwei andere Mitglieder des Vorstands, um genau zu sein. Worum es bei den Investitionen ging, kann ich Ihnen noch nicht sagen, aber Sutherland war wohl das Zünglein an der Waage.«
»Und dann verschwindet er plötzlich, wie praktisch«, folgerte Leonardo.
»Nicht nur das. Die anderen beiden sind vor drei Tagen bei einem gemeinsamen Ausflug mit ihrer Limousine von der Straße abgekommen und einen Abhang hinuntergestürzt. Amen.«
»Da hält offensichtlich jemand nichts von Demokratie.«
»Gestern Nacht dann ging Simon Sutherland durch eine Tür und kam nicht wieder heraus, Sir.«
»Ein Geheimgang? Ein Fluchttunnel?« Szuda mutmaßte.
»Es war ein Fahrstuhl, Sir.« Leonardo horchte auf. Anscheinend wurde es jetzt noch mysteriöser. Gute Geschichten hatten oft solche Elemente. Er bedeutete Janus weiter zu erzählen.
»Es war der Fahrstuhl des Empire State Buildings. Sutherland stieg unten ein und kam oben nicht mehr an.«
»Dann stieg er vielleicht auf einem anderen Stockwerk aus?«
»Nein, Sir. Er benutzte den Fahrstuhl zur Aussichtsplattform, der fährt die Strecke durch.« Janus hustete kurz. »Vor fünf Jahren verlor Sutherland seine Frau. Seitdem fuhr er einmal im Monat des Nachts auf die Plattform des Empires und warf eine gelbe Rose über das Sicherungsgitter.«
»Wie überaus poetisch.« Leonardo runzelte die Stirn.
»Ja, das finde ich auch. Nur gestern hatte er keine dabei. Das erzählte mir der Fahrstuhlführer. Fünf Jahre lang hatte Sutherland eine langstielige gelbe Rose dabei, dieses Mal nicht. Das fiel dem Mann natürlich auf.«
»Forschen Sie weiter, Janus. Die Spesen sind bereits hinterlegt.«
»Danke, Mr Szuda. Ich werde mich weiter umhören, Janus Ende.«
Leonardo hängte den Hörer wieder ein. Doch bevor er sich über diese neuen Informationen, die zugegebenermaßen sehr eigenartig waren, Gedanken machen konnte, klopfte es an der Tür.
»Komm rein, Dozer.«
Der Leibwächter trat durch die Tür, wobei er leicht den Kopf neigen musste. Er machte Platz und dann staunte Leonardo nicht schlecht, als er das Mädchen dahinter erblickte, nur war es kein
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