Das Luxemburg-Komplott
waren zu wenige gewesen. Die meisten Arbeiter hörten noch immer auf Ebert { * } und Scheidemann oder auf die Unabhängigen Sozialdemokraten, die nicht wussten, was sie tun sollten.
In der Niederlage zu sterben, das ist kein schlechter Tod für eine Revolutionärin. Der Tod befreit einen auch von den Fragen, auf die man keine Antwort findet. Sie erinnerte sich der Zeiten, in denen sie sich tot gewünscht hatte. Diese Augenblicke der Verzweiflung. Als sie eingesperrt war und allein. Als ihre Welt zusammenbrach am 4. August 1914, an dem die sozialdemokratische Reichstagsfraktion den Krediten zustimmte, mit denen der Kaiser seinen Krieg bezahlte. Gerade vierzehn Abgeordnete hatten in der Fraktion dagegen gestimmt, sich aber dann im Reichstag der Mehrheit unterworfen. Die Verzweiflung, als sie merkte, dass die Arbeiter immer noch denen glaubten, die sie tausendmal belogen hatten.
Vor ein paar Wochen erst war sie in einem überfüllten Zug aus Breslau zurückgekehrt, die meisten Fahrgäste trugen Uniform. Niemand interessierte sich für die kleine Frau, die auf ihrem Koffer saß und las. Für die meisten war die Revolution zu Ende, weil Frieden war.
Die Tür wurde aufgestoßen. Ein Offizier stürzte herein. »Herr Pabst, Herr Pabst! Es ist schrecklich!« stammelte er.
Der Hauptmann stand auf und brüllte: »Machen Sie anständig Meldung, Pflugk-Harttung!«
Der Offizier warf einen Blick zu der Frau, die immer noch so tat, als würde sie lesen. Dann straffte er den Körper und legte die Hand an die Mütze: »Herr Hauptmann, wir haben Liebknecht hinuntergebracht zum Abtransport, wie befohlen. Der Trupp ist mit ihm losgefahren, da kamen plötzlich Leute, viele Leute. Bewaffnete. Sie haben Liebknecht mitgenommen. Und die Wachmannschaft erschossen.«
Die Frau begann zu begreifen. Sie hatten Karl auf der Flucht erschießen wollen, aber Arbeiter hatten ihn gerettet.
»Sie haben sich den Gefangenen wegnehmen lassen?« Fassungslosigkeit lag in Pabsts Stimme. Er stellte sich direkt vor den anderen Offizier. »Ist das wahr?« brüllte er.
»Jawohl«, sagte der Soldat. »Wir haben aber überall gesucht.«
Die Frau musste sich beherrschen, um nicht laut loszulachen.
»Das heißt, Sie haben sich den Gefangenen wegnehmen lassen und ihn dann überall gesucht?«
»Jawohl, Herr Hauptmann.«
»Aber Sie haben ihn nicht gefunden?«
»Jawohl, Herr Hauptmann.«
»Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Sie haben Deutschlands gefährlichsten Verbrecher laufen lassen.«
Die Frau in der Ecke spürte Hoffnung. Wenn Karl fliehen konnte, dann würde es ihnen schwerer fallen, sie zu töten. Karl wusste, wo sie war. Und Pieck wusste es auch. Wo war Pieck?
»Und wo ist dieser Meyer?« fragte der Hauptmann. Es hörte sich an wie: Den habt ihr wohl auch laufen lassen.
»Der ist noch hier.«
»Dann können Sie den ja auch gehen lassen«, schnauzte der Hauptmann. »Und diese Dame hier, die nicht zugeben will, die Luxemburg zu sein, die können Sie gleich mitschicken.«
Die Frau reimte es sich zusammen. Sie hatten noch nicht einmal herausgefunden, dass Meyer nur ein Deckname war. Sie hatten neben Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mit Wilhelm Pieck ein drittes Mitglied der KPD-Zentrale gefangen, ohne es zu wissen. Stahlhelme machen nicht klüger, dachte sie.
Der Hauptmann brüllte Pflugk-Harttung aus dem Zimmer. Er hatte wohl schon die Lobeshymnen gehört auf den Mann, der Liebknecht und Luxemburg zur Strecke gebracht habe, den Bolschewistenzögling und das jüdische Flintenweib aus Polen, die alle anständigen Deutschen ermorden wollten. Sogar der sozialdemokratische Vorwärts hatte gefordert, die beiden zu töten, zusammen mit Radek, dem Bürgerkriegshetzer aus Russland.
Die Frau las immer noch. Sie zeigte keine Angst und keine Befriedigung.
Der Hauptmann nahm einen Füller in die Hand und spielte mit ihm. Der Füller fiel auf den Boden und zerbrach. Tinte trat aus, ein schwarzer Fleck weitete sich. Pabst fluchte leise. Er warf einen Blick zu der Frau und glaubte, er habe sie lächeln gesehen. Obwohl sie las, fühlte er sich beobachtet. Eine seltsame Frau. Sie war grauhaarig, nicht schön, klein und nicht mehr schlank. Ihn erstaunte immer noch die Ruhe und Überlegenheit, mit der sie ihm gegenübertrat, als sie vorgeführt worden war.
»Sind Sie Frau Rosa Luxemburg?«
»Entscheiden Sie bitte selber«, hatte sie geantwortet.
»Dem Bild nach müssten Sie es sein.«
»Wenn Sie es sagen.«
Auch wenn er sich gegen den Eindruck wehrte,
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