Das Maedchen am Klavier
Gott, Robert!«, flüsterte sie und Tränen brachen aus ihren Augen.
Robert Schumann begriff ihren Schmerz. Er hielt sie fest, streichelte und küsste sie, während sie gar nicht mehr aufhören konnte zu weinen. Sie weinte über die Einsamkeit, die sie erlitten hatte; über die Sehnsucht und das vergebliche Warten; über die Scham nach den Demütigungen durch ihren Vater; über ihr Mitleid mit Robert Schumann, der so schmählich beleidigt worden war, und über die versteckten Bosheiten, mit denen er sich dafür an ihr gerächt hatte. Vor allem aber weinte sie über all die Liebe, die keine Erfüllung gefunden hatte. Sie weinte und klagte und Robert Schumann weinte und klagte mit ihr. Nie zuvor waren sie einander so nahe gewesen wie jetzt, als sie endlich einen Schlussstrich unter die vergeudeten Jahre ziehen konnten und auf eine gemeinsame Zukunft hoffen durften. So viel Hoffnung auf einmal, und so nah schien die Erfüllung.
Noch am selben Abend setzten sie den Termin für ihre Hochzeit fest: Am 12. September 1840 sollte sie stattfinden, genau einen Tag vor Claras einundzwanzigstem Geburtstag.
»Um einen Tag haben wir den Kampf gewonnen«, sagte Robert Schumann leise, während Clara neben ihm lag, den Kopf auf seinem Arm. »Vom nächsten Tag an hätte man uns auch ohne Gerichtsurteil nichts mehr verbieten können.«
Clara nickte beklommen. »Ein hoher Preis für einen einzigen Tag. Eigentlich wäre das alles gar nicht nötig gewesen.«
»Wir konnten doch nicht wissen, dass es so lange dauern würde.«
Wie ein Schatten stand plötzlich er im Raum, jener, der nichtlosgelassen hatte. Doch sie nannten nicht einmal seinen Namen und da war er auch schon wieder verschwunden.
Clara blickte ihren Verlobten von der Seite her an. So schön und nobel erschien er ihr im abendlichen Dämmerlicht! Ein junger Mann, der mehr als andere vom Leben erwartete, dem das Schicksal aber auch mehr mitgegeben hatte als den meisten. »Wir werden ein gutes Leben haben«, versprach er. »Ich habe so viele Ideen, die ich verwirklichen will. Du weißt ja schon: Mein nächstes Werk soll eine Symphonie werden.« Er lächelte Clara an. »Das hast du dir doch immer gewünscht: dass ich ein großes Orchesterwerk komponiere. Jetzt bin ich dazu bereit.« Und er erzählte von seinen Plänen und davon, wie er sich die gemeinsame Ehe vorstellte. »Eine Einigkeit, so liebevoll und innig, wie man es sich nur wünschen kann.«
Clara hörte ihm zu. Doch je länger er sprach, desto stiller wurde sie. Das Leben, das er schilderte, war ihr fremd. Sie sah sich nicht mit einem weißen Spitzenhäubchen auf dem Kopf und einem Schlüsselbund am Gürtel. Sie sah sich nicht als Mutter einer großen Kinderschar und auch nicht als Gehilfin, die die Werke ihres Ehemannes ins Reine schrieb.
Trotzdem schwieg sie. Von einem Augenblick zum nächsten verlor sie das Glück einer vollkommenen Illusion. Sie begriff, wie sehr ihr Robert, ihr lieber, lieber Robert, ein Kind seiner Zeit war, ein wohlanständiger, braver Bürger, auch wenn er sich für einen rebellischen Romantiker hielt. Deshalb sollte auch die Frau, die er vor den Altar führen wollte, eine wohlanständige, brave Bürgerin sein, die alle Anforderungen erfüllte, die an eine Dame des gehobenen Mittelstandes gestellt wurden.
Ernüchtert und enttäuscht wandte sich Clara ab. Wie wenig Robert Schumann, der sie liebte, sie doch kannte! Begriff er eigentlich, wie sie bisher gelebt hatte und auch weiterhin leben wollte? Konnte er sich die wunderbaren Konzerte vorstellen, die zu ihrem Leben gehörten? Die vielen Menschen, die nur ihretwegen gekommen waren? So viele Lichter und so viel Glanz! Die große Welt des Reichtums, der Macht und der Schönheit.Vor allem aber auch die Welt der Kunst. Die Welt der Musik. Ihre Welt, Claras Welt, in die sie gehörte und auf die sie nicht verzichten konnte und wollte. Sie hatte sich wohl gefühlt in dem Schifferhäuschen an der Seine, doch es sollte nie eine Endstation für sie sein, so wenig wie Robert Schumanns trauliches Hüttchen in Zwickau, von dem er träumte.
Einen Augenblick lang hatte sie den Wunsch, sich aufzulehnen, ihn zu überzeugen und ihn notfalls zu zwingen, dass er sie verstand. Doch dann schwieg sie weiterhin. Sie wollte ihm das Glück nicht verderben, das seine Augen endlich wieder strahlen ließ und das auch sie selbst erwärmte. Eine Symphonie wollte er komponieren? Nur zu! Vielleicht wurde ihm dann auch der Erfolg zuteil, den er sich so sehr wünschte. Auch
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