Das Maedchen am Klavier
so glücklich, dass sie den Brief in ihr Handtäschchen schob und beim Konzert wie einen Talisman vor sich hin legte.
Claras Besuch in Hamburg trug auch zur amüsanten Unterhaltung des Publikums bei. Vor wenigen Wochen hatte Camilla Moke mit großem Erfolg hier gastiert. Noch während sie ihre Konzerte gab, war Robena Laidlaw, Robert Schumanns heimliche Verflossene, eingetroffen und im selben Hotel, dem »Stadt Petersburg«, abgestiegen. Sofort hatte Mrs. Laidlaw, Robenas geschäftstüchtige Mutter, einen Pianistinnen-Wettstreit eröffnet, an dem sich das Publikum erfreut beteiligte. Wie es schien, hatte »die Moke« knapp gesiegt.
Kurz nachdem Camilla Moke abgereist war, traf Clara nichtsahnend im Hotel am Jungfernstieg ein und wurde unverzüglich in eine Fortsetzung dieses Wettstreits verwickelt. Mrs. Laidlaw fing Marianne im Foyer ab und schilderte ihr so laut, dass es alle Anwesenden hören konnten, wie leidenschaftlich Robert Schumann in »meine wunderbare Robena« verliebt gewesen sei. Nach einer solchen Leidenschaft könne jede Nachfolgerin ihrer Tochter nur noch zweite Wahl für ihn sein. »Stimmt Sie das nicht schrecklich traurig, meine Liebe?«
Marianne bewahrte Haltung. »Herr Schumann hat meine Clara – und auch sie ist wunderbar! – schon lange vor Ihrer kleinen Robena geliebt und er liebt sie jetzt mehr denn je«, erklärte sie mit hochmütigem Achselzucken. »Den unbedeutenden Ausrutscher bezüglich Ihrer Tochter können wir ihm gerne verzeihen. Auch er selbst hat ihn längst vergessen.«
Der weitere Pianistinnen-Wettstreit spielte sich im Konzertsaal ab und verlief eindeutig zu Claras Gunsten. »Das Haus war voll«, schrieb sie an Robert Schumann. »Das Publikum empfing mich gleich mit dem lebhaftesten, anhaltendsten Beifall und wurde bis zum Schluss immer wärmer und wärmer. Zum Schluss sprengte ich noch eine Basssaite. Ich musste selbst lachen und das Publikum noch mehr. Am Ende eines Konzerts habe ich so etwas sehr gern. Es erhöht den Total-Effekt.«
Zum ersten Mal seit langem war Clara wieder sie selbst. »Das Publikum klatschte und schrie«, berichtete sie weiter. »Nur in Bremen schauten sie mich bloß mit leuchtenden Augen an. Man hatte mir schon gesagt, dass hier nicht geklatscht werden dürfe, warum auch immer. Da habe ich sie aber dann mit der ›Appassionata‹ so richtig ins Feuer gejagt, dass sie gar nicht mehr anders konnten und jubelnd aufsprangen. Beim nächsten Mal klatschten sie dann ganz von selbst. Ich glaube, die feinen Hanseaten haben es genossen, einmal so richtig aus sich herauszugehen.« Und dann, mit einem Augenzwinkern, das er zwar nicht sehen konnte, aber fühlen: »Wie steht es übrigens bei Dir mit dem Aus-sich-Herausgehen, mein lieber Robert? Vielleicht erhalten wir ja bald eine gute Nachricht. Dann wird sich zeigen, was Dich ins Feuer jagt.« Sie lächelte, während sie das Schreiben versiegelte. Einen Augenblick lang fühlte sie sich wieder wie das mutwillige kleine Mädchen, das den tiefsinnigen jungen Studenten durch den Wald trieb und zu schweißtreibenden Kniebeugen zwang.
Träume vom Glück
Der Tag aller Tage kam. Er kam wirklich, obwohl Clara und Robert Schumann die Hoffnung manchmal fast aufgegeben hatten.
Schon im Februar befanden sie sich in ständiger Bereitschaft. Dann begann das Frühjahr und noch immer war nichts geschehen. Schon wieder hatten sie einander sechs Monate lang nicht gesehen, dachte Clara und durchforschte im Spiegel ihr Gesicht nach Spuren der Zeit. Doch wovon sollte sie altern? Von den Folgen ausschweifender Leidenschaft gewiss nicht. Vielleicht aber vom Warten, von der Enttäuschung, von den endlosen Reisen in unbequemen Postkutschen und von den unbefriedigenden Konzerten in unbedeutenden Orten, wo man sich wenig für Musik interessierte und Claras Abende nur besuchte, weil es sonst keine Abwechslung gab. Wo war Paris mit seinen Lichtern und seinen eleganten, spöttischen Menschen, die Gutes zu schätzen und zu genießen wussten? Ihr einziger Trost war, dass Ende August drei wichtige Konzerte bevorstanden, die sie für die Ochsentour durch die Provinz entschädigen würden: ein Auftritt in Gotha vor über tausend Menschen und zwei Konzerte in Weimar vor der Großherzogin und der russischen Zarin.
Hin und wieder kam es vor, dass man sie auf den Prozess gegen ihren Vater ansprach, und das nicht nur freundlich. Einmal spuckte ein älterer Herr, der sie aus der Ferne sogar an Friedrich Wieck erinnert hatte, vor ihr aus und nannte
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