Das Maedchen am Klavier
größte Leistung!«, sagte Clara mit deutlicher Stimme, als sie auf der Poststation wartete. Es interessierte sie nicht, ob jemand sie belauschte. »Mich selbst aber bekommt ihr nicht. Keiner hat das Recht, vor mir auszuspucken, weil ihm nicht passt, wie ich lebe, und keiner soll über mich urteilen.« Keine weiteren Aussteuer-Konzerte mehr! Stattdessen würde sie sich endlich um das kümmern, was sie wirklich wollte: ihre drei »Romances« fertig komponieren, den Kontrapunkt noch besser verstehen lernen, um sich in die Werke von Bach weiter einzuarbeiten, und endlich, endlich ihren Liebsten wiedersehen!
Ein älteres Ehepaar, das ebenfalls auf die Kutsche wartete, drehte sich zu Clara um und schaute sie befremdet an. Doch Clara blickte an ihnen vorbei und beachtete sie nicht.
Es war, als hätte sie eine Zauberformel ausgesprochen, die plötzlich den Bann löste, der sie so lange gelähmt hatte. Sie war auf einmal ganz sicher, dass das Schicksal auf ihrer Seite war. Lange genug hatte sie gewartet und gehofft. Irgendwann einmal musste auch sie ihre Zuteilung an Glück bekommen und dieses Irgendwann war ganz nahe, dessen war sie sicher.
Als sie in Berlin ausstieg, fühlte sie sich leicht und unbeschwert. Sie übergab ihr Gepäck einem Träger, der es auf seiner Karre zum Hotel transportieren würde. Danach breitete sie die Arme aus, als wollte sie die ganze Welt umarmen. Eine Erleichterung war in ihr, wie sie sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Eine Gewissheit, dass bald alles gut werden würde, auf welche Weise auch immer.
Ein Regen hatte die Luft gereinigt. Clara kam es vor, als wäre alles um sie herum frischer und klarer als sonst und die Sonne heller und strahlender. Auf dem Gehsteig hielten sich noch ein paar kleine Pfützen und glänzten im Licht. Die ganze Stadt schien sauber und befreit von allem, was nicht vollkommen war.
Zögernd machte sich Clara auf den Weg. Doch bald verfiel sie wieder in ihre eigene Gangart. Schnell und immer schneller bewegte sie sich, atmete tief und frei und hätte am liebsten einen Jubelruf ausgestoßen, obwohl doch nur ein Tag vergangen war, seit sie an ihrem Glück gezweifelt hatte. Sie lief an dem Haus vorbei, in dem ihre Mutter wohnte. Doch sie blieb nicht stehen und trat nicht ein. Sie wusste selbst nicht, warum, aber sie wollte nur schnell zurück in ihr Hotel, zu dem einfachen Klavier im Nebenzimmer und zu den unzähligen Notenblättern, auf denen geschrieben stand, was ihr Leben ausmachte.
Wie eilig sie es hatte, endlich wieder an ihrem vorübergehenden Heimatplatz zu sein! Sie wollte sich auf das Sofa fallen lassen und ihr Schicksal erwarten. Sie fühlte sich geborgen wie nie zuvor. Marianne hatte einmal von Gottvertrauen gesprochen, doch Friedrich Wiecks praktische Tochter hatte nie gelernt, an etwas anderes zu glauben als an das, was ihre Sinne aufnehmen konnten. Heute aber war sie auf einmal bereit, sich auszuliefern, zu hoffen und zu glauben, dass alles gut werden konnte.
Der Kofferträger war bereits angelangt. Clara bezahlte ihn und er trug ihr Gepäck nach oben. Auf ihre Anweisung hin stellte er es vor der Tür ab, während Clara den schweren Messingschlüssel für ihr Zimmer holte und eilig die Treppe hinaufstieg. Oben aber vergaß sie, aufzusperren. Sie drückte einfach die Klinke nieder und wunderte sich nicht, dass die Türe aufging.
Im Zimmer war es sonnenhell. Das Erste, was sie sah, war ein fremdes Köfferchen mitten im Raum. Fremd – und doch wieder nicht fremd ... Noch ehe Clara die Tür hinter sich geschlossen hatte, erhob sich jemand aus dem Sessel, der mit dem Rücken zum Eingang stand. Jemand, der Clara erst tiefernst anblickte, als hätte er eine schlimme Nachricht zu überbringen, der sein Spiel aber nicht lange durchhielt, sondern plötzlich lächelte – und es war, als ginge die Sonne an diesem Tag ein zweites Mal auf –, so glücklich lächelte, dass es nur eines bedeuten konnte.
Drei Jahre war es her, dass sie sich verlobt hatten, doch erst jetzt fühlten sie sich als Brautleute. Als Robert Schumann Claraanlächelte, wurde sein Lächeln zu dem ihren. Sie lächelten und lachten, stürzten einander in die Arme, hielten einander fest, ließen sich aufs Bett fallen und lachten noch immer, bis Clara die übergroße Freude plötzlich nicht mehr ertragen konnte. Sie hielt inne und spürte, wie sich auf einmal der Schmerz, den sie so lange unterdrückt hatte, aus ihrer Seele befreite und sie ein letztes Mal überwältigte. »Robert, mein
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