Das Mädchen Ariela
Er hörte Kamele schnauben, Hunderte von Stimmen, Pferdewiehern und laute Rufe, als würde das einsame Wüstenfort von einer Menschenlawine überschüttet.
»Ich habe einen Ring, mein junger Freund«, sagte Mahmud zu dem jungen Soldaten, der ihm das Essen hinstellte und das alte Geschirr wegräumte. »Einen wertvollen Ring mit einem Stein, der fast hunderttausend Piaster wert ist. Du kannst ihn haben.« Mahmud hielt den Ring an seiner linken Hand hoch. Er hatte ihn in Beirut gekauft, als er noch der große Händler war. Vor einem Jahr war das … »Ich schenke ihn dir, wenn du mir sagst, was draußen los ist. Und ich schenke dir noch mehr, wenn du erfahren kannst, was sie mit mir vorhaben …«
»Draußen sind zwei Beduinenstämme angekommen«, sagte der junge Soldat. Er hob die Hand, als Mahmud den Ring von seinem Finger streifte. »Sie warten auf den Tag Ihrer Hinrichtung.« Mahmud fühlte, wie die Kraft aus seinen Beinen wich. Er lehnte sich gegen die Wand und sah den jungen Soldaten aus rot umränderten Augen an. Sein Bart war wild und zerzaust.
»Was noch?« keuchte er. »Was weißt du noch?«
»Ich weiß nichts mehr.« Der Junge nahm das Geschirr und verließ die Zelle.
Eine Stunde später erfuhr Mahmud ibn Sharat mehr. Narriman besuchte ihn. Es war das erstemal seit seiner Festnahme, daß er sie sah, und sie war wieder von einer wundervollen Schönheit, die an sein Herz griff. Er sah sie mit den Augen eines verhungernden Hundes an und legte die Hände vor die Brust, als er sich stumm vor ihr verbeugte. Ihr gelbes Seidenkleid war tief ausgeschnitten und ließ die Knie frei. Ihre braune Haut glänzte, und er erinnerte sich trotz aller Qual, daß er diese Frau geliebt hatte.
»Sie bringen mir Gutes, Narriman«, sagte Mahmud heiser. »Ich spüre es. Sie waren immer wie ein guter Engel …«
Narriman schwieg und sah auf Mahmud herunter. Ihre großen schwarzen Augen leuchteten. Was an Rache in einem Menschen sein kann, sprühte aus diesem Blick.
»Ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen«, sagte sie hart. »Ich will noch einmal die Kreatur sehen, für die ich die Hölle aus der Erde holen würde, um sie zu vernichten. Was morgen geschieht, kann ich nicht mit ansehen, aber ich mußte Sie noch einmal sehen, Mahmud, um nie zu vergessen, wie groß mein Haß sein kann. Ich werde mir Ihren Anblick einbrennen, so wie auf meinem Körper Narben von Ihren Nägeln sind.«
Mahmud ibn Sharat senkte den Kopf. Seine Lippen zuckten. »Ich bitte Sie um Verzeihung«, sagte er leise.
»Wie kann man das verzeihen, was Sie getan haben?«
»Die Güte ist grenzenlos«, sagt Mohammed.
»Und die Rache sprengt alle Himmel, sagte einst der Mahdi! Wir sprechen verschiedene Sprachen, Mahmud.« Narriman blieb an der offenen Zellentür stehen. Im Gang warteten vier Soldaten, falls Mahmud sie angreifen sollte. »Suleiman wäre bereit gewesen, Sie erschießen zu lassen. Ich wollte es nicht! Ich wollte den morgigen Tag!«
»Soll ich vor Ihnen auf die Knie fallen und Sie anflehen?« stammelte Mahmud.
»Was nützte das?« Sie sah über ihn hinweg gegen die Wand und schüttelte den Kopf. »Ihr Harem ist aufgelöst. Die Frauen haben ihre Freiheit bekommen. Die Regierung hat ihnen tausend Piaster als Start in ein neues Leben gegeben. Ihr Vermögen wurde eingezogen. Aus Ihrem Haus wird ein staatliches Erholungsheim für kranke Kinder … die einzelnen Pavillons eignen sich vorzüglich dazu. Alles, was an Sie erinnert, wird vernichtet. Sie werden toter sein als der Tod!«
»Und meine Verdienste um das Vaterland? Der unterirdische Gang unter Jerusalem, durch den die Agenten drei Jahre lang ungehindert hin- und hergehen konnten? Meine wertvollen Meldungen? Warum erkennt man das nicht an?« Mahmuds Stimme wurde schrill. »Ich flehe um Dankbarkeit, Narriman! Sagen Sie das General Suleiman. Ich habe Jordanien genützt! Ich habe Sabotageakte möglich gemacht. Ich war es, der an der Grenze dauernden Unfrieden säte. Durch mich haben die Juden jahrelang das Gefühl gehabt, auf einem Pulverfaß zu sitzen. Ich habe die ersten Informationen über die neuen israelischen Panzer geliefert! Vergißt man das alles?«
»Man vergißt es nicht, Mahmud. Ihr Tod wird deshalb auch ein Volksfest werden.« Narriman trat zurück in den Flur. Mahmud stand mitten in der Zelle, und in seinen Augen lag irrsinnige Angst. Ein Volksfest, dachte er. Zwei Beduinenstämme haben sie ins Fort geholt. Was werden sie mit mir tun? Die Angst umkrallte sein Gehirn, und er begann zu
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