Das Mädchen Ariela
Mulde mit dem Zelt erreichte. Er grüßte, zog seine Jacke aus und hielt sie Ariela hin.
»Fräulein Golan«, sagte er, heiser vor Ergriffenheit, »darf ich Ihnen meine Uniform anbieten?«
»Danke, Hauptmann.« Ariela ließ Schumann los, bettete seinen Kopf vorsichtig auf eine Deckenrolle und zog die Jacke über ihren nackten Oberkörper. Sie knöpfte sie zu und lächelte den Hauptmann dankbar an. »Bringen Sie zuerst Doktor Schumann zum Flugzeug«, sagte sie. »Er muß sofort nach Beersheba ins Krankenhaus. Eine Viper hat ihn vergiftet …«
»Wir wissen Bescheid.«
»Ist Major Rishon gut angekommen?«
»Er ist verwundet.« Der Hauptmann blickte auf die beiden Offiziere, die dabei waren, Schumann vorsichtig hochzuheben und aus der Mulde zu tragen. »Er wartet im Hubschrauber.«
»Das ist schön.« Ariela taumelte plötzlich. Sie lehnte sich an den Hauptmann, sonst wäre sie umgefallen. »Wasser …«, stammelte sie heiser. »Bitte Wasser … ich habe seit fast zwei Tagen nichts mehr getrunken … Ich brauchte das Wasser für Peter …«
Der Hauptmann zögerte nicht lange. Eine Flasche mit Tee war im Hubschrauber. Er nahm Ariela wie ein Kind auf seine Arme und trug sie zum Hubschrauber.
Nach zwei Stunden lagen sie im Krankenhaus von Beersheba. Weiße Betten, Schwestern mit weißen Häubchen, Ärzte, die sich um sie bemühten, Kühle, die aus den Klimaanlagen strömte. Sie lagen alle drei in einem Zimmer, nebeneinander, so wie sie in der Wüste gelegen hatten. Arielas Bett stand in der Mitte, und wenn sie nach links und rechts die Arme ausstreckte, konnte sie Schumanns und Rishons Hände fassen.
»Das Leben ist schön«, sagte sie. »Ich habe es nie begriffen, was das bedeutet. O Gott, gibt es Schöneres, als in Frieden zu leben?«
Aber der Friede war nur innerhalb ihres Zimmers. Schon hinter der Tür begann der graue, feindliche Alltag.
An der Tür des Zimmers 14 des neuen Krankenhauses von Beersheba hing ein Schild. Eintritt verboten! Infektion!
Und aus Jerusalem war ein Funkspruch an den Kommandeur von Beersheba gekommen.
»Auf Ihre Anfrage betreffs Major Rishon: Der Major befindet sich gegenwärtig auf einer Inspektionsreise durch Galiläa. Leutnant Ariela Golan arbeitet seit Beendigung des Krieges im Generalstab. Dr. Peter Schumann ist Arzt in Jerusalem und z.Z. im Gazastreifen zur Hygieneuntersuchung. Sobald die drei Personen bei Ihnen transportfähig sind, sofortige Überstellung nach Jerusalem …«
Die Welt sollte nie von diesem Abenteuer erfahren.
Zwei Tage später flog man Moshe Rishon, Ariela und Dr. Schumann von Beersheba nicht nach Jerusalem, sondern nach Tel Aviv. Stabschef Rabin und General Dayan empfingen sie persönlich.
»Sie haben Israel einen unschätzbaren Dienst erwiesen«, sagte Dayan in seiner knappen Art. »Und nun vergessen wir alles …«
Er umarmte Ariela und dachte in diesem Augenblick an den Oberst Arnos Golan, der als Toter mit seinen Panzern zuerst den Suezkanal erreichte.
»Und ein solches Volk will man ausrotten«, sagte Dayan leise. »Das wird Gott nie zulassen …«
Später waren sie am Meer, am Sandstrand von Herzlia, und Ariela und Rishon stützten Schumann, als er schwerfällig zum Wasser ging und sich die Wellen um die Beine spülen ließ.
»Wie fühlst du dich?« fragte Ariela.
»Glücklich«, antwortete Schumann. Er blieb stehen und sah Rishon an. »Ich werde Ihnen nie danken können, Moshe …«
»Das sollen Sie auch nicht.« Rishon vermied es, Schumann anzusehen, er blickte über das gegen die Küste anrollende blaue Meer. »Ich habe mich um Ariela gekümmert … Sie waren der Ballast, den ich wohl oder übel mitnehmen mußte …«
Über dem Wüstenfort lag die Stille des Todes.
Niemand kümmerte sich um Mahmud ihn Sharat, bis auf einen jungen Soldaten, der ihm einmal täglich das Essen brachte: eine Terrine mit Suppe aus Hammelfleisch und Bohnen, dazu eine Kanne Wasser und drei Matzen. So ging das vier Tage lang, ohne daß sich etwas Besonderes ereignete.
Mahmud hatte viel Zeit, über sein Schicksal nachzudenken. Er rannte herum und wunderte sich, warum man ihn nicht längst hingerichtet hatte. Dann erinnerte er sich an Suleimans Ankündigung, daß er eines unehrenhaften Todes sterben sollte. Er fror vor Grauen und verlangte immer wieder, noch einmal mit Suleiman sprechen zu dürfen.
Am fünften Tag hielt er es nicht mehr aus. Die Geräusche, die er durch das ganz oben an der Decke liegende, unerreichbare Fenster hören konnte, beunruhigten ihn.
Weitere Kostenlose Bücher