Das Mädchen, das nicht weinen durfte
hätte ich jede Menge erzählen können … Aber von meinen persönlichen Erlebnissen in Kairo wollte hier sicher keiner hören. Ich war überhaupt nicht nervös, nicht mal das Infoblatt las ich durch, weil ich keinen Druck verspürte. Es sollte mir nur Spaß machen. Als ich an der Reihe war und die Kamera anging, redete ich drauflos. Ich erzählte, dass man im Land der Pharaonen die Pyramiden besichtigen sollte, dass man dort auch lernen kann, wie man selbst Papyrus herstellt, dass man sich vor Ort zur Besichtigung Pferdekutschen oder Kamele ausleihen kann, aber besser auf einem Kamel reitet, weil die Kutsche im Wüstensand kaum vorankommt und so weiter und so fort. Am Schluss schnappte ich mir den Regenschirm, eines der Utensilien im Studio, und meinte nur: »… und den hier, den brauchen Sie gar nicht erst einzupacken!«
Das war mein Schlusswort, Kamera aus. Jetzt musste ich nur noch auf die Entscheidung des Senders warten.
13.
DER GRAUSAME ABSCHIED
Mein Handy klingelte am 5. August 2005 um kurz nach 11 Uhr. Ich sah eine englische Telefonnummer auf dem Display. Es war also jemand aus meiner Familie. Irgendetwas muss passiert sein! Aber das dachte ich immer, wenn sie anriefen, seitdem ich sie allein nach England hatte gehen lassen. Sie lachten jedes Mal, wenn ich mich wieder besorgt am Hörer meldete: »Hallo, alles in Ordnung?« - »Alles gut, Khadra, nichts passiert!«
Doch diesmal war es so weit, es war der Anruf, vor dem ich mich seit Jahren so fürchtete. Chuchu kreischte nur in den Hörer, ich verstand kein Wort. Dann brach die Verbindung ab. Sie hatte kaum Geld und offenbar nur 20 Penny in den Münzautomaten geworfen. Zuerst dachte ich, sie hätte wieder Mist gebaut und sich mit Papa gestritten. Das war schon öfter passiert, und ich musste das dann immer für sie wieder geradebiegen. Dann klingelte es erneut. Es war die gleiche Telefonnummer.
»He’s not breathing anymore! He’s gone!« Die Verbindung brach ab. Ich wusste, was sie gesagt hatte: » Papa ist tot.« Ich hätte ein Messer nehmen und in mein Herz rammen können, so, wie ich es so oft geträumt hatte. Aber mit ihm war schon ein Teil von mir gestorben und ich wollte nur noch zu ihm, ein letztes Mal.
Schluchzend griff ich zum Hörer und rief in der Britischen Botschaft an. Die Tränen schossen mir in die Augen und tropften
die ganze Zeit in die Sprechmuschel, während ich die Nummer wählte, die in meinem Telefonbuch stand. Ich wusste, dass sie freitags eher schlossen, und das machte mich nervös. Ich schnappte die ganze Zeit nach Luft, während es am anderen Ende der Leitung klingelte.
»Zentrale der Britischen Botschaft in Düsseldorf, was kann ich für Sie tun?«, meldete sich eine sanfte Frauenstimme. Ich war völlig aufgelöst und redete drauflos.
»Meine Familie lebt in London, meine kleine Schwester hat mich gerade aus dem Krankenhaus angerufen, mein Vater ist tot. Ich muss jetzt sofort dorthin und brauche ein Visum. Meine kleine Schwester ist noch immer im Krankenhaus und völlig auf sich allein gestellt. Ich muss sofort dorthin!« Während es so aus mit herausbrach, wurde meine Stimme immer lauter und schriller, und ich schluchzte dabei. »Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal. Wo genau sind Sie jetzt?« - »In Köln.«
»Und Sie brauchen ein Visum nach England, richtig? Welche Nationalität haben Sie?«
»Somalisch. Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland«, brachte ich hervor. »Okay. Bitte machen Sie sich sofort auf den Weg in die Botschaft, denn die schließt gleich. Ich werde den Kollegen schon mal eine E-Mail schreiben, dass Sie sofort ein Visum brauchen.« Ich war viel zu überdreht und verwirrt, um mich über die unbürokratische Hilfe zu freuen. Ich wollte nur nach London. Ich wollte zu meinem Vater.
Sascha war nicht zu Hause, aber Rita, eine Freundin, die in der Nachbarschaft wohnte, stand schon mit dem Wagen bereit und raste mit mir zur Botschaft, wo man das Visum tatsächlich bereits ausgestellt hatte. Dann fuhr ich mit ihr wieder nach Hause, um ein paar Sachen zu packen. Ich lief im Zimmer umher, suchte Socken und Unterwäsche zusammen und stand völlig neben mir. Meine Schwester Nanna, die mit ihrem Mann mittlerweile in den USA lebte, musste ich auch noch anrufen - sie wusste noch
gar nicht, dass unser Vater tot war. Da Nanna im achten Monat schwanger war, machte ich mir Sorgen um sie.
»Papa …«, fing ich an, und sie hörte schon an meiner Stimme, dass etwas nicht stimmte. »Papa was? Was ist
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