Das Mädchen, das nicht weinen durfte
ich kann nicht zurückschreiben, meine Karte ist leer! Gibst du mir dein Handy?« Zora drückte es mir in die Hand und schien froh zu sein, endlich Ruhe zu haben. Während der ganzen Rückfahrt simsten wir hin und her und erst, als ich vor meiner Tür war und das Handy abgeben musste, schickte ich ihm eine letzte SMS. Ich schlug ihm vor, mich am nächsten Abend im Café zu besuchen, in dem ich arbeitete, aber er war sich nicht sicher, ob er es schaffen würde. Kurz bevor ich den Laden am Samstagabend dichtmachen wollte, kam er dann mit seinem Freund, den ich auch in der Discothek gesehen hatte. Ich stand gerade hinter der Theke, warf ihnen ein »Hallo« zu und verschwand in der Küche.
»Oh mein Gott, er ist hier!«, rief ich Anna zu, die mit mir kellnerte. »Der Typ, von dem ich dir vorhin erzählt habe, er ist hier! Was soll ich machen?«
»Bleib ganz cool, unterhalte dich einfach mit ihm.«
Ich holte tief Luft, setzte ein Lächeln auf und ging raus. Ich war Mrs. Ice Cool höchstpersönlich! Ich gab ihnen etwas zu trinken und machte den Laden schnell zu, dann gingen wir in eine Bar um die Ecke. Wir unterhielten uns ein bisschen, aber am meisten redete sein Freund.
Nach unserem ersten Date ein paar Tage später lernte ich Sascha endlich besser kennen. Wir unterhielten uns über gescheiterte Beziehungen und Erfahrungen, aus denen man gelernt hatte. Mich beeindruckte, wie er über Liebe sprach, das war ein Wort, mit dem ich immer sehr behutsam umgegangen war, nachdem ich meine Enttäuschungen erlebt hatte. Liebe hatte für mich auch immer viel mit Schmerz zu tun gehabt, zu viel, wie ich fand. Aber Sascha nahm das Wort öfter in den Mund, als ich es in den gesamten letzten Jahren ausgesprochen hatte, und das faszinierte mich. »Wenn ich eine Frau liebe, dann gebe ich ihr alles, und wenn ich
nichts von ihr zurückbekomme, dann war es halt die Falsche, aber deshalb ändere ich meine Art nicht.« So saß er vor mir, nicht wissend, was für eine wundervolle Ausstrahlung er hatte, und ich wusste in diesem Augenblick, dass ich diesem Mann alles von mir geben wollte.
Willkommen in der Familie, mein Sohn
Als Sascha in mein Leben trat, befand ich mich seelisch gerade am Tiefpunkt. Heute weiß ich, dass diese Begegnung das größte Glück war, das mir damals passieren konnte. Er brachte so viel Freude in mein Leben, dass ich mich erstmals wirklich glücklich fühlte, keine Sekunde wollte ich ohne ihn sein und er auch nicht ohne mich. Anfangs war es mir vor ihm peinlich, wo ich wohnte, deshalb trafen wir uns nur bei ihm. Aber dann machte ich Herrn Reimann Druck, die Garage endlich auszubauen, und kurz darauf war meine Mini-Wohnung fertig. 500 Mark Miete musste ich von nun an bezahlen, und mein Umzug dauerte nicht einmal zwanzig Minuten. Ich trug meine paar Klamotten, Decke, Kissen und die zwei Matratzen aus der Abstellkammer in den neuen Raum, das war’s. Es war zwar etwas leer in den 18 Quadratmetern, aber meine neue Wohnung war sauber, frisch gestrichen, hatte ein eigenes, kleines WC mit Dusche und ein Fenster zum Hof. Zur Einweihung empfing ich Sascha mit ein paar Teelichtern, die ich im Zimmer verteilte. Hier hatten wir nur uns und ich brauchte nichts anderes. Ich gab ihm sofort einen Zweitschlüssel und er war stolz, dass ich ihm so vertraute.
Sogar meine Familie sollte ihn kennenlernen, das erste Mal in meinem Leben wollte ich meinem Vater sagen, dass ich einen Mann liebte, obwohl es ein großer Schritt war, für ihn wie für mich, denn dieses Thema war all die Jahre tabu gewesen. Es hat mich große Überwindung gekostet, denn ich hatte alle möglichen
Befürchtungen und malte mir die schrecklichsten Szenen aus, vor allem: Was, wenn Papa dagegen war? Was sollte ich dann tun?! Nach ein paar Tagen nahm ich all meinen Mut zusammen und rief meinen Vater an.
»Papa, da ist ein Mensch, der macht mich sehr glücklich«, platzte es aus mir heraus.
»Wer ist das denn?« Und dann erzählte ich ihm, wie lieb Sascha war, dass er Betriebsleiter in einem Restaurant war, welch gute Umgangsformen er hatte und dass er mir morgens sogar Frühstück zubereitete, damit ich nicht mit leerem Magen zur Arbeit ging. Mein Vater muss gespürt haben, wie glücklich ich war.
»Dann stell mir deinen Sascha mal vor«, freute er sich mit mir. Mein Glück war perfekt und einige Zeit später telefonierten sie erstmals miteinander. Ich sah Sascha die Aufregung an, als ich ihm den Hörer übergab. »Willkommen in der Familie, mein Sohn«, war das
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