Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition)
mein Vater nicht da ist, muss ich mich abends um das Restaurant kümmern.« Als sie Oswalds enttäuschtes Gesicht sieht, fügt sie hinzu: »Wenn du wirklich mit mir üben willst, können wir es morgens nach dem Aufstehen versuchen. Da bin ich ausgeschlafen, und meine Stimme ist frisch und kräftig.«
»Morgens?«, sagt Oswald voller Entsetzen. »Da kann man doch keine Musik machen.« Sein Gesicht sieht so zerknittert aus wie ein weggeworfener Liebesbrief. Aber dann grinst er und sagt: »Wenn du mir einen Kaffee machst, wird es schon gehen.«
Als der Wagen vor Mendys Haustür hält, steigen beide aus. Mendy lässt zu, dass Oswald sie in den Arm nimmt und küsst. Sie lässt auch zu, dass er vorsichtig ihren Rücken streichelt. Aber als seine Hand zu ihrer Brust gleitet, befreit sie sich ruckartig aus seinen Armen und winkt ihm aus sicherem Abstand zum Abschied. Sie hat keineswegs die Absicht, ihm den Kaffee gleich morgen früh zu servieren. »Ich rufe dich an«, sagt sie.
Am nächsten Tag begegnet Tubai seinem Vorgesetzten wieder mit Gehorsam und Demut, als wäre nichts zwischen ihnen geschehen. Aber Koch Lin hegt einen tiefen Groll gegen seinen Gehilfen und bedenkt ihn mit Schweigen. Am liebsten würde er ihn zertreten wie ein lästiges Ungeziefer.
Den ganzen Tag denkt er nur an Rache. Er ist überrascht, als Mendy ihn nach dem neuen Konzept der Tageskarte fragt. Er hat den Auftrag längst vergessen. »Nun, ich bin etwas durcheinander. Aber ich arbeite weiter dran«, antwortet er vage. Dann schlägt er hastig zwei Gerichte vor.
»Wir müssen uns beeilen«, sagt Mendy. Aber der Satz gilt eher für sie als für ihn. Denn ihre Zeit als alleinige Chefin ist begrenzt. »Schaffst du es morgen, mir dein Konzept vorzustellen?«
»Ja, mache ich«, sagt der Koch matt.
Am Abend, als die ersten Gäste ins Restaurant kommen und der Raum sich allmählich füllt, stößt KochLin hinten in der Küche plötzlich einen lauten Schrei aus und lässt Pfanne und Wender zu Boden fallen. Er redet von einem schrecklichen stechenden Schmerz im rechten Arm, der ihn völlig gelähmt habe. Als Mendy und Tubai versuchen, mit einigen Kniffen die Schmerzen zu lindern, wird es noch schlimmer. Der Arm wird steif und lässt sich gar nicht mehr beugen und heben.
»So was Seltsames habe ich noch nie gesehen«, sagt Mendy ratlos.
»Ich wusste es«, jammert der Koch. »In der Nacht habe ich einen bösen Traum gehabt. Ein Ungeheuer hat mich in die Schulter gebissen. Ich bin vor Schreck aufgewacht. Heute Morgen hat sich der Arm angefühlt wie ein Waschknüppel, und jetzt ist er tatsächlich hinüber.«
Tubai zaubert eine chinesische Salbe hervor. Auf dem Dosendeckel ist ein vor Energie strotzender Tiger zu sehen, und als der Koch die Salbe auf seinen Arm streicht, hoffen alle, dass er gleich wieder gesund wird. Aber so schnell kann auch der Tigerbalsam nicht wirken. Es bleibt Mendy nichts anderes übrig, als den Koch nach Hause zu schicken und ihm gute Besserung für seinen steifen Arm zu wünschen.
Während Mendy nach einem Ersatzkoch telefoniert, muss Tubai einspringen. Ohne zu zögern, beginnt er die bestellten Gerichte zu kochen, die der Bildschirm anzeigt. Nach einer Stunde kommt der Ersatzkoch, und Mendy bittet die beiden, sich die Arbeit zu teilen. Unerwartet wendet der Abend sich zum Erfolg. Die Gäste loben nicht nur den schnellen Service, sie finden die Speisen auch ausgezeichnet.
Am nächsten Morgen meldet Lin sich am Telefon. Bei ihm sei keine Besserung eingetreten, sagt er mit gequälter Stimme. Mendy gibt ihm den Tag frei, sagt aber, er müsse ihr spätestens morgen eine Krankschreibung vom Arzt vorlegen, sonst bekäme er für den versäumten Tag kein Geld. Als sie den Hörer auflegt, schleicht sich Misstrauen in ihr Herz. Hat sich der Koch beim Kampf mit Tubai verletzt, oder täuscht er die ganze Sache nur vor? Wenn der Große Koch gegen sie arbeitet, wird sie das Umsatzziel nicht erreichen. Sie seufzt und weiß nicht recht, was sie tun soll.
Ihre gedrückte Stimmung ist Tubai nicht entgangen. Um sie aufzuheitern, schneidet er aus einem runden Rettich eine Rose für sie und bringt sie ihr ins Büro. Mendy lächelt und sagt ihm schließlich, was sie bedrückt.
»Könnten wir es nicht mit Nudelgerichten versuchen?«, fragt Tubai schließlich. »Damit kenn ich mich aus.«
»Nudeln?«, sagt Mendy. »Ist das nicht zu … einfach?«
»Glaub ich nicht«, sagt Tubai. »Meine Gäste in China haben meine Nudeln geliebt!«
»Vielleicht
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