Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition)
ungeduldig.
»Du hast mir ja noch nicht mal das letzte geliehene Geld zurückgezahlt. Also, lassen wir das Thema ruhen, bis du deine alten Schulden beglichen hast.« Boss Guan macht eine kleine Pause, dann wechselt er in einen milderen Tonfall. »Dieses Jahr wird bestimmt besser laufen. Die Olympischen Spiele kommen nach Peking. China ist in aller Munde. Da werden wir bestimmt auch mehr Gäste haben. Nach dem ersten Quartal werde ich sehen, ob eine Lohnerhöhung für dich drin ist.«
Dem Koch bleibt nichts anderes übrig, als schweren Schrittes das Büro zu verlassen. Kurz darauf hört man die Hintertür zuschlagen.
Mendy steht an der Theke und hat aufgeräumt. Nach dem Abgang des Kochs geht sie ins Büro, aber schon beim Anblick ihres Vaters schiebt sie nervös die Zunge zwischen die Lippen. Eine Gewohnheit, die sie geradezu kindlich aussehen lässt. Um Boss Guan aufzuheitern, stellt sie ihm die Kassette mit den Tageseinnahmen hin. »Weißt du, Papa«, sagt sie lächelnd, »als der Gitarrist vorhin hereinspazierte, dachte ich, er wollte uns ausrauben. Er war total schwarz gekleidet und blieb die ganze Zeit im Eingang stehen, wo es so dunkel ist. Als er seine Tasche öffnete, dachte ich, jetzt holt er eine Pistole raus. Ich hatte die Stöckelschuheschon in der Hand, um sie ihm auf den Kopf zu schlagen! Aber wie du siehst, konnte ich meine Tapferkeit gar nicht unter Beweis stellen. Unser Restaurant zieht einfach nur gute Menschen an.«
»Schon gut, du Plappermaul.« Das Gesicht des Mannes entspannt sich ein wenig. »Wie ist es heute gelaufen?«
»Nicht schlecht«, sagt Mendy. »Die Pekingsuppe ist ein echter Hit. Das Rezept von Koch Lin hat sich bewährt.«
»Hat es Beschwerden gegeben?«
»Nein«, sagt die Tochter. »Aber ich habe den Eindruck, der Koch schikaniert Tubai und lässt ihn immer mehr arbeiten.« Tubai ist Erchu – zweiter Koch. Aber Lin behandelt ihn wie einen Gehilfen.
»Behalte Lin im Auge, dass er sich hier nicht als Chef aufspielt. Der Mann denkt, er kann uns auf der Nase herumtanzen. Gib also acht, dass die Stimmung erträglich bleibt, ja?«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Ich hab vorhin sogar extra gesungen, um gutes Wetter zwischen Meister Lin und Tubai zu machen.«
»Schön, dass du mir immer mehr Arbeit abnimmst.« Boss Guan nimmt die Kasse, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Obwohl er direkt über dem Restaurant wohnt, versteckt er sie unter der Jacke, damit niemand sie sieht.
»Ich mach das ja gern, Papa, das weißt du«, sagt Mendy. »Aber du darfst nicht vergessen, was du versprochen hast. Du hast gesagt, dass ich gehen darf, wenn ich den Job bei der Bank kriege.« Sie nimmt Tasche und Jacke aus dem Schrank im Büro und verlässt gemeinsam mit ihrem Vater das Restaurant. Sie trennen sich vor dem Hauseingang, wo der Vater mit schweren Schritten nach oben stapft, während Mendy sich zu Fuß auf den Weg macht zu ihrer Wohnung in der Knesebeckstraße.
Tubai schaut Mendy lange nach. Erst als die Dunkelheit sie verschluckt und sie endgültig nicht mehr zu sehen ist, kehrt er ins Restaurant zurück, schließt von innen alle Türen und Fenster und schaltet das Licht aus. Mitten im Raum bleibt er stehen und atmet tief ein. Dann beginnt er mit seinen Übungen. Mal bewegt er sich wie ein Fisch im Wasser, mal wie ein Leopard auf der Jagd. Die Wasser-Stein-Kampfkunst, die er aus China mitgebracht hat, ist seine zweite Heimat.
Zhao Tubai ist vor sieben Jahren als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Eigentlich hatte er es in China gar nicht so schlecht. In der Stadt Dahu in der Provinz Fujian hatte er zusammen mit seinem älteren Bruder einen kleinen Nudelimbiss geführt und recht gut verdient. Die fleißigste Kellnerin verliebte sich in ihn, und die Familie gab die Verlobung bekannt. Alles sah hoffnungsvoll aus, aber dann kam ein großer Investor in die Stadt und vernichtete Tubais Träume. Das kleine Lokal wurde abgerissen, um einem Industriepark Platz zu machen. Eine Entschädigung bekam die Familie nicht, weil die Lokalregierung erklärte, die Imbissbude sei sowieso illegal errichtet worden. Tubai wollte das nicht hinnehmen und ging vor Gericht. Doch das Gericht nahm seinen Fall nicht an. Es bliebihm nichts anderes übrig, als das Beschwerdebüro in der Kreisstadt aufzusuchen. Als das auch nichts nützte, reiste er nach Fuzhou, in die Hauptstadt seiner Provinz, um dem dortigen Beschwerdebüro seinen Fall vorzutragen. Doch vor dem Regierungsgebäude wurde er von Beamten aus
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