Das Mädchen, der Koch und der Drache: Roman (German Edition)
zwei Flaschen Wein auf den Tisch stellt und anschließend mit einer leichten, fast ironischen Verbeugung in ihre Richtung den Raum verlässt. Kurz darauf taucht Boss Hong wieder auf. Aus seinem geröteten Gesicht und seinem hörbaren Atmen schließt sie, dass er sich geärgert hat.
Doch der Goldene Drache beruhigt sich schnell, als er eine der kostbaren Porzellanschalen nimmt und Mendy persönlich die Suppe serviert. Die dunklen Blätter, die darin schwimmen, kennt die junge Frau nicht. Neugierig fragt sie danach. Da erklärt der Mann, das seien die Blätter des Surenbaums. Früher seien sie ausschließlich Nahrung für arme Leute gewesen.
Mendy probiert einen Löffel und ist von dem Geschmack entzückt. »Ist dein Chauffeur auch dein Koch? Er kocht ganz ausgezeichnet!«
»Mein Chauffeur ist nur der Chauffeur. Aber ich wollte dich nicht zu sehr überraschen. Deshalb habe ich das Essen heute von einem Koch kochen lassen, den du gut kennst.«
Mendy sagt diesen und jenen Namen, bis ihr Gastgeber lacht. »Nein«, sagt er. »Du kennst ihn viel besser. Er hat jahrelang in der Strahlenden Perle gekocht.«
Jetzt sperrt sie Mund und Nase vor Überraschung auf. »Koch Lin? Das kann nicht sein!«, platzt es aus ihr heraus. »So gut hat er nie gekocht.«
»Er kann sogar noch einiges mehr, das wirst du bald merken. Nur zeigt er sein Können nicht überall. Es hängt davon ab, wem er dient.«
»Ist er jetzt dein Angestellter?«
»Nein. Nur ab und zu gebe ich ihm einen Auftrag, so wie heute zum Beispiel«, sagt der Goldene Drache.
Mendy wird nachdenklich. Sie fragt sich, seit wann Koch Lin wohl für den Goldenen Drachen arbeitet – und was er alles für ihn getan haben könnte. Boss Hong aber glaubt, genug über den Koch gesagt zu haben, und konzentriert sich wieder aufs Essen. Er atmet den Duft der Suppe ein, schlürft ein wenig vom Löffel und sagt: »Der Surenbaum ist mein Glücksbaum. Er hat mir das Leben gerettet. Meine Familie war bitter arm, als ich klein war. Wir hatten oft tagelang nichts zu essen. Auf den Feldern konnten wir keine Nahrung finden, denn alle litten an Hunger und hatten die Erde längst dreimal durchwühlt. Dann kam eine lange Dürreperiode. Die Dorfbewohner starben einer nach dem anderen, weil sie nichts im Magen hatten. Hätten wir nicht einen dieser Wunderbäume in unserem Hof gehabt, wäre ich auch unter die Erde gegangen.«
Solche entbehrungsreichen Zeiten kennt Mendy nur vom Hörensagen. Sie will noch mehr wissen, doch der Gastgeber scheint genug gesprochen zu haben und widmet sich seiner Suppe. Kaum führt er einen Löffel Brühe zum Mund, klingelt sein Handy wieder, und der Mann verlässt erneut eilig das Wohnzimmer. Mendy hat das Gefühl, dass sich etwas zusammenbraut. Aber sie kennt ihn zu wenig, um sagen zu können, worum es geht.
Als der Mann an den Tisch zurückkehrt, scheint er mit seinen Gedanken woanders zu sein. Mendy gibt sich Mühe und setzt ihre Lippen erneut in Bewegung. Aber ihr Gastgeber zeigt sich jetzt wenig gesprächig. Das verunsichert sie. Hat der Mann gerade etwas Schlechtes erfahren? Womöglich gar über sie? Sie bricht abrupt ab und wechselt das Thema, aber Boss Hong lässt sich nicht hinreißen. Sein Gesicht bleibt undurchschaubar. Hastig wechselt Mendy noch einmal das Thema …
Der Abend schreitet voran. Mendy fährt sich mit der Hand über die nackten Oberarme, um den dünnen Kältefilm wegzuwischen, der sich darübergelegt hat. Ihr gehen die Themen allmählich aus. Als der Goldene Drache nach zwei Stunden immer noch kein Wort über den Job gesagt hat, den er ihr anbieten will, murmelt sie schließlich, es sei ja schon spät und sie müsse allmählich nach Hause gehen. Irgendwie ist sie beinahe enttäuscht.
»Du hast meine Wohnung noch nicht gesehen«, sagt der Gastgeber plötzlich. »Die habe ich mithilfe deines Vaters gekauft. Komm, ich werd sie dir zeigen.« Mendy würde am liebsten ablehnen, aber der Mann ist schon aufgestanden, hat die Zwischentür zum hinteren Bereich der Wohnung geöffnet und ist aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Mendy nimmt ihre Handtasche, die sie an ihren Stuhl gehängt hat, befingert kurz die kleine Pfefferspraydose darin, dann steht sie auf. Als sie die Zwischentür passiert, ist sie überrascht, wie lang sich der Korridor vor ihr erstreckt. Boss Hong zeigt ihr sein Arbeitszimmer, sein Bad, ein exotisches Gemach extra für seinen Dobermann und seine Katze, wobei sich jetzt nur die faule Angorakatze auf einem Sessel räkelt. »Der
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