Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
und Reue stehen ihm ins Gesicht geschrieben.
Gestern nach dem Konzert haben die Restaurantmitarbeiter zur Feier ihres Erfolgs noch eine Runde Schnaps getrunken. Und als er gesehen hat, dass Mendy mit Oswald wegfahren wollte, hat Tubai noch zwei weitere Gläser heruntergestürzt. Er hat gespürt, dass Mendy mit Oswald schlafen wollte, und war darüber so unglücklich, dass er seinen Kummer mit Alkohol zu betäuben versuchte. Dass ausgerechnet in dieser Nacht ein Brand ausgebrochen ist, betrachtet er als Strafe für seine Eifersucht und seine fehlende Wachsamkeit. Aber natürlich wagt er nicht, Mendy das zu sagen.
»Wer so viel gearbeitet hat wie du, der schläft natürlich fest wie ein Stein«, sagt Mendy, um ihn zu trösten. Sie sieht, dass Tubai Ruß und Blut im Gesicht hat, undam Kopf hat er eine kahle Stelle, weil dort das Haar verbrannt ist. Eine halb gefüllte Penny-Plastiktüte liegt neben dem Sandkasten. Das müssen die Dinge sein, die er vor dem Feuer zu retten versucht hat. Jetzt wird es bald dunkel, und sie hat keine Arbeit und keine Unterkunft mehr für ihn. Der Anblick des Schutzlosen tut ihr so weh, dass sie ihre Augen für einen Moment schließen muss.
»Was für ein Glück, dass dir nichts passiert ist«, sagt sie nach einer Weile. Sie merkt, dass sie kurz vor einem Weinkrampf steht, aber das will sie unter offenem Himmel nicht zulassen. Sie greift nach seiner Tüte und sagt: »Die Polizei hat unser Restaurant abgesperrt und will noch einiges untersuchen. Da darfst du dich nicht blicken lassen. Komm jetzt mit mir. Ich mache dir einen heißen Kakao. Du musst dich erst einmal aufwärmen.«
Tubai folgt ihr. Unterwegs erzählt er mit gebrochenen Sätzen, was er in der Nacht erlebt hat. Er habe von einem Vulkan geträumt und schrecklichen Durst gehabt. Dann sei er aufgewacht und habe eine ungewöhnliche Hitze gespürt. »Ich dachte, es wäre ein Sturm, bei dem die Blätter rauschen und Äste brechen.« Er hatte die Decke weggestoßen und weiterzuschlafen versucht. »Dann kam so ein lautes Piepen, aber ich wusste ja nicht, was das war. Ich hab nur das Zischen und Knistern gehört. Ich habe Angst gekriegt und wollte aufstehen. Dabei bin ich die Leiter hinuntergefallen. Ich habe die Tür zum Lokal aufgemacht, und da hab ich das Feuer gesehen.«
Er habe die Tür gleich wieder geschlossen. Dannhabe er einen Eimer geholt und zu löschen versucht. Vor allem die Büro- und die Küchentür habe er nass gespritzt, um die dahinterliegenden Räume zu schützen. Auch sich selbst habe er mehrfach mit Wasser begossen, um länger gegen das Feuer kämpfen zu können. »Dann habe ich die Sirenen gehört.«
Er sei zurück ins Büro gelaufen, habe Mendy angerufen und schnell noch ein paar Dokumente und persönliche Dinge aus seinem Versteck geholt, ehe er durch die Küche davongerannt sei. Wer die Feuerwehr alarmiert hat, wisse er nicht.
Zu Hause angekommen, macht Mendy erst einmal Milch heiß. Tubai fängt sofort an, das schmutzige Geschirr abzuwaschen, das neben der Spüle steht, als wäre das selbstverständlich für ihn. Mendy will ihn aus der Küche schicken, doch er hört nicht auf sie. Nachdem jeder eine Tasse Kakao getrunken hat, spürt Mendy einen nagenden Hunger. Jetzt fällt ihr ein, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hat. Aber es hilft nichts, sie muss jetzt endlich ihren Halbbruder Michael von seinem Schulfreund abholen.
Tubai ist nach dem Kakao auch nicht mehr so verzweifelt wie vorher. Er fragt sie, ob sie irgendwelche Vorräte dahat. Aber außer Reis, Eiern, Zwiebeln und ein paar Büchsen ist in Mendys Küche nicht viel zu holen. Trotzdem verspricht Tubai, etwas zu kochen, wenn sie mit ihrem kleinen Bruder zurückkommt.
Ehe Mendy die Wohnung verlässt, hebt sie leise einen von Tubais Schuhen auf und dreht die Sohle nach oben. Dann atmet sie auf: Tubais Schuhsohle hat ein völliges anderes Muster als der Schuhabdruck, den siein der Kammer entdeckt hat. Sie legt den Schuh wieder auf den Boden und kehrt noch einmal in die Küche zurück. »Haben wir gestern mehr Tischdecken als sonst verbraucht?«, fragt sie.
»Meinst du die Stofftücher? Nein. Die haben wir gar nicht genommen. Für die Feier haben wir Papierdecken auf die Tische gelegt, das ist praktischer bei dem Trubel«, sagt Tubai, die Hände weiß von Mehl.
Jetzt fällt auch Mendy wieder ein, dass auf den Tischen Papierdecken lagen. »Kannst du dich erinnern, ob die Körbe mit den sauberen Tischdecken gestern voll oder leer waren?«,
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