Das Mädchen, der Koch und der Drache - Roman
Jahren ist Ru Yulin die Älteste von ihnen.
»Erwähne sie lieber nicht, sonst platze ich noch vor Wut. Wir wollten uns gestern treffen. Aber dann rief sie kurz vorher an, sie könne nicht kommen, sie müsse einen kranken Kollegen vertreten. Na gut, dann treffen wir uns heute, haben wir vage vereinbart. Aber sie ist offenbar gar nicht zu Hause. Auch an ihr Handy geht sie nicht ran. Sie ist bestimmt zu ihrem Freund Anton gerannt und mit ihm ins Bett gekrochen.« Peipei fuchtelt mit den Händen, als müsse sie böse Geister verjagen.
Mendy muss lachen. »Du bist wirklich unmöglich. Wenn du was willst, macht es klick! , und dann sollen alle um dich herumtanzen.«
Peipei versucht es mit Schmeichelei. »Du bist meine letzte Rettung, Mendy, meine kleine Eisenschwester. Du hilfst mir doch, ja? Ich übernehme deine Arbeit, solange du redigierst.«
Mendy runzelt die Stirn. Aber Peipei ahnt schon, was ihre Freundin sagen wird, und kommt ihr zuvor: »Die Arbeit muss ja kein Meisterwerk werden. Du musst nur die schlimmsten Fehler wegmachen, damit ich den Schein kriege. Du brauchst höchstens zwei Stunden. Du hast deine Hausarbeiten doch immer ratzfatz erledigt.« Sie lächelt und fährt sich mit der Hand vorsichtig übers Haar. »Du hast dein Diplom schon in der Tasche. Aber deine Eisenschwester istnoch nicht am Ziel. Hilfst du ihr ein bisschen, ja?«
»Zwei Stunden? Was du dir so denkst«, sagt Mendy und verzieht das Gesicht. »Ich hab doch überhaupt keine Ahnung von deinen Fächern. Da muss ich mich erst einarbeiten.« Peipei studiert Europäische Geschichte und Sinologie.
»Um den Inhalt musst du dich nicht kümmern«, sagt sie. »Den habe ich nach tagelanger Internet-Recherche erstellt. Wird schon stimmen. Wie gesagt, du musst nur mein Deutsch verbessern.«
Vier Männer betreten das Restaurant, legen ihre Mäntel ab und setzen sich an einen Tisch am Fenster. Mendy will aufstehen, um ihnen die Speisekarte zu bringen, aber Peipei springt auf wie ein Reh und geht auf die Gäste zu. Zwei von ihnen sind Stammgäste und kennen die beiden Kellnerinnen. Peipei begrüßt sie mit einem vertraulichen Lächeln und unterhält sich mit ihnen. Da sie viel lacht, kommt sie bei den Gästen gut an. Zum Kellnern ist Peipeis Deutsch gut genug, denkt Mendy. Schon ruft Peipei die Bestellung für die Getränke herüber: eine Apfelschorle, drei Bier.
Nachdem die Gäste ihre Getränke bekommen haben, sagt Peipei: »Komm, geh ins Büro.«
Mendy fühlt sich ausgenutzt. »Ach, jetzt bin ich dir wieder gut genug«, sagt sie spitz. »Du kommst immer nur, wenn du etwas von mir willst.«
»Kleine Schwester, sieh in mir nicht ständig die schlechte Freundin«, sagt Peipei. »Du hast einfach keine Zeit gehabt, weil du mit deinem Examen beschäftigt warst. Ich habe mich nicht gemuckst, um dich nicht zu stören.«
»Na gut«, sagt Mendy, »aber wenn zu viele Gäste kommen, sag mir gleich Bescheid!«
»Du weißt doch: Selbst wenn alle Plätze besetzt sind, werde ich unsere Gäste gut bedienen«, sagt Peipei stolz. »Du wirst sehen, deine Gäste werden dich gar nicht vermissen.« Um ihre Worte zu unterstreichen, wackelt sie vergnügt mit dem Hintern.
»Werd bloß nicht frech«, sagt Mendy und verschwindet mit dem Manuskript ins Büro. Bei der Lektüre beginnt sie zu schwitzen. Chaotische Sätze, widersprüchliche Argumente und dünne Belege. Es ist unmöglich, dieses Manuskript in zwei Stunden in eine Seminararbeit zu verwandeln. Kein Wunder, dass Yulin geflüchtet ist. Mendy schüttelt den Kopf, aber es bleibt ihr nichts anderes übrig, als tief einzuatmen und sich in die Korrektur zu versenken.
Nach zwei Stunden steckt Peipei den Kopf ins Büro. Sie hat jetzt eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock an, so wie es sich für eine Kellnerin gehört. Als sie die zahlreichen rot markierten Stellen im Manuskript sieht, seufzt sie zufrieden, und als sie merkt, dass Mendy sich die Augen reibt, bringt sie ihr rasch eine Kanne Tee.
»Das Anwaltspaar war wieder da«, sagt sie. »Sie haben Händchen gehalten, einmal hat er sie sogar im Gesicht gestreichelt. Ich dachte schon, gleich küssen sie sich und er macht ihr ’nen Heiratsantrag. Aber von wegen. Am Ende haben sie wie immer getrennt bezahlt.«
»Das nennt man Liebe mit Prinzipien«, kichert Mendy und spielt mit dem Rotstift, den sie in derHand hält.
»Von einem Mann, der die Rechnung nicht übernimmt, lass ich mich nicht streicheln«, sagt Peipei. »So ein Mann versteht doch nichts von
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