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Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
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mit einem Fleck, einem Sandkorn, auf Noras Arm. Sie wischte darüber, worauf sich Teile von ihr lösten – Finger, Hände, Glieder. Sie verlor Gestalt und Form, löste sich auf, eine Frau aus Sand. Sie versuchte zu schreien, hatte aber keinen Mund und keine Stimme. Der Wind trug sie fort. Sie wurde über das Meer geweht, verstreute sich über dem Strand, den Wellen. Von ihr würde nichts übrig bleiben. Und die Mädchen weit unten, außer Reichweite …
    Nora schlug erschreckt die Augen auf, die trüb waren vom Schlaf, wie gefüllt mit Sand aus ihren Träumen. Sie wälzte sich aus dem Bett und stolperte ins Bad. Ihre Augen sahen rot und geschwollen aus. Sie nahm Tropfen aus dem Arzneischrank. Ja, besser.
    An jenem Morgen war es ungewöhnlich ruhig im Cottage. Normalerweise spielten die Mädchen um diese Zeit schon oder stritten sich.
    Sie hantierte in der Küche herum. Im Kühlschrank und in der Speisekammer fand sie Zutaten für einen Kuchen – gefrorene Heidelbeeren aus Maires Tiefkühltruhe, Buttermilch, Eier, Mehl. Das Mischen der Zutaten hatte etwas Meditatives. Sie würde den Tag von diesem ruhenden Pol aus beginnen. Backgeruch erfüllte die Küche. Nora sah auf die Uhr: halb elf. Sie würde nach den Mädchen schauen, wie früher, als sie klein waren. Sie drehte den Türknauf, stellte sich lächelnd vor, wie Ella alle Glieder von sich streckte, das Gesicht halb in den Kissen vergraben, und Annie die Hände auf der Brust gefaltet hielt wie Schneewittchen. Ihre Gesichter friedlich und unschuldig.
    Doch was sie sah, waren ein offenes Fenster und leere Betten. Wahrscheinlich trieben sie sich schon draußen herum. Es war nett von ihnen gewesen, sie schlafen zu lassen; sogar Ella, die anstrengende Ella, hatte manchmal ihre rücksichtsvollen Momente. Der Kuchen wäre bald fertig. Sie würde sie zum Frühstück rufen. Hatten sie schon etwas gegessen? Nein, in der Spüle und auf dem Trockenbrett standen keine Schalen. Das ließ sie stutzen. Alles war an seinem Platz – der Weg, die Bäume, der Strand, das Haus –, nur nicht die Mädchen. Nora versuchte es mit logischem Denken. Wo konnten sie sein? Sie schaute im Wäldchen nach, auf der Wiese, bei Maire. Sie spürte kaum noch den Boden unter den Füßen, den Wind auf ihrem Gesicht, als sie zum Strand hastete.
    Keine Mädchen.
    Kein Ruderboot.
    Die Wellen leckten am Ufer. Und das Meer erstreckte sich, so weit das Auge reichte, ohne dass ein Boot oder ein Mensch darauf auszumachen gewesen wäre.
    Nora rannte zu Reilly Neales Haus, stürzte, schürfte sich das Knie auf, rannte weiter, bis sie ihre Beine nicht mehr spürte. Sie hämmerte mit beiden Fäusten an seine Tür. »Mr. Neale? Mr. Neale, sind Sie da?«
    Er schlurfte zur Tür, der Hund bellte. Neale trug einen mottenzerfressenen Pullover, seine weißen Haare waren zerzaust, als wäre er eben erst aufgestanden.
    »Haben Sie sie gesehen? Haben Sie die Mädchen gesehen?«, fragte sie vollkommen außer Atem.
    »Nein, ich …« Er zupfte an den Ärmeln seiner löchrigen Jacke.
    »Das Ruderboot ist weg.«
    Jetzt schien er ihre Panik zu begreifen. »Vielleicht hat die Flut es weggespült«, sagte er. »Wann sind sie verschwunden?«
    »Ich weiß es nicht. Irgendwann in der Nacht?«
    »Während des Sturms?«
    »Sturm?«
    »Haben Sie den nicht gehört? Für diese Jahreszeit war er nicht von schlechten Eltern. Schnell und heftig. Nicht die richtige Zeit, um sich auf dem Wasser rumzutreiben, am allerwenigsten für Kinder, obwohl nicht klar ist, ob sie überhaupt mit dem Ruderboot rausgefahren sind. Gestern ist das Wasser ziemlich weit den Strand hochgekommen.«
    »Ich habe nichts mitgekriegt«, gestand Nora.
    Er tätschelte ihren Arm. »Sie können sie nicht vierundzwanzig Stunden am Tag im Auge behalten, gerade Ella. Wenn die sich was in den Kopf setzt, gibt’s kein Halten. Wahrscheinlich sind sie ganz in der Nähe, in der Nixenhöhle oder einer der anderen Buchten. Sie sind klug und geschickt. Wir rufen Polly von Maires Haus aus an, damit sie Alarm schlägt. Ich habe leider kein Telefon. Keine Sorge, wir finden sie. Könnte gut sein, dass sie sich verstecken und uns eine Nase drehn.«
    Nora rannte voraus, um Polly anzurufen, die einen Funkspruch absetzte. »Achtung, Achtung, zwei Kinder auf See vermisst.« Das Postamt blieb geschlossen, damit sie am Funkgerät bleiben konnte. Gewöhnlich suchten sie nach einem der Männer, nicht nach kleinen Mädchen, nicht seit damals, als Nora vermisst worden war. Die Kirchenglocken

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