Das Mädchen von San Marco (German Edition)
ihn herab.
»Constanza?«
»Paul, du bist wach?«
»Ja.«
Er versuchte sich umzudrehen und spürte einen brennenden Schmerz zwischen den Augen.
»Wie fühlst du dich?«
Paul hörte Wasser in einem Becken plätschern und fühlte ein kühles, feuchtes Tuch auf der Stirn.
»Ah, tu das nicht!«
Er hob die Hand zur Stirn und spürte eine Beule, so groß wie ein Apfel.
»Himmel!«
»Tut es sehr weh?«
Er befühlte die anderen Teile seines Gesichts.
»Meine Nase! Mein Gott, ich glaube, sie ist gebrochen!«
»Mag sein.« Constanza klang nicht sehr mitfühlend. »Du bist vornüber aufs Gesicht gefallen, hier auf dem Fußboden.«
Paul befeuchtete die Lippen mit der Zunge. Sie waren trocken und rissig, und er hatte einen seltsam metallischen Geschmack im Mund, den Geschmack von Blut. Merkwürdige schwarze Flocken hingen ihm im Bart und in den Haaren.
Es ließ sich zurücksinken und schloss die Augen. Ganz langsam kamen die Ereignisse der letzten Nacht wieder zurück.
»Ich habe eine Nachricht für dich, von deinem John Carew.« Constanza hielt ihm ein Glas Wasser an die Lippen.
»Carew?« Paul bewegte den Kopf schneller, als er vorgehabt hatte, und konnte nur mit Mühe einen Schmerzensschrei unterdrücken. »Habe ich ihn umgebracht?«
»Nein.«
»Schade.« Paul Lider flatterten und schlossen sich. »Dann tu ich’s beim nächsten Mal.«
Erstaunlicherweise reagierte Constanza nicht darauf. Deshalb setzte Paul betont hinzu: »Er war schon immer ein hinterhältiger, verlogener kleiner Bastard.« Er konnte sich zwar nicht mehr genau daran erinnern, warum er Carew hatte umbringen wollen, aber die Wut auf den Mann rumorte immer noch in ihm, sie war wie ein roter Schleier, der ihm die Sicht versperrte.
Constanza schwieg beharrlich. Ach, zum Teufel mit ihnen beiden. Paul schloss die Augen. Das Reden hatte ihn ermüdet, aber sein Kopf brummte zu sehr, als dass er hätte wieder einschlafen können. Vielleicht sollte er ein paar Schlucke Wein trinken? Doch schon allein der Gedanke an Alkohol, der ihn sonst unweigerlich aufmunterte, verursachte ihm Übelkeit. Constanza hatte ihm etwas erzählen wollen, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, was es war. Während er vor sich hin dämmerte, bahnten sich weitere Erinnerungsfetzen aus der vergangenen Nacht den Weg in sein Bewusstsein.
Auf einmal war er hellwach.
»Constanza?«
»Ja?«
Paul stützte sich mühevoll auf. »War … war letzte Nacht jemand hier? Abgesehen von Carew?«
»Ambrose Jones.«
»O Gott!«
»Weißt du nicht mehr, dass du mit ihm gesprochen hast? Er hat dir einen Brief gegeben.«
»Einen Brief? Ja, doch, einen Brief …« Paul wühlte verzweifelt in den zerdrückten Falten des Bettzeugs. »Ja, das ist er. Mach Licht, sei so gut.«
Constanza zog die Vorhänge zur Seite, und Paul überflog halb aufgerichtet den Brief. Dann ließ er sich wieder in die Kissen sinken. Er lag lange reglos da und starrte an die Decke.
»Er war sehr wütend auf dich.« Constanza setzte sich zu ihm auf den Bettrand. »Warum war er so wütend, Paul?«
Sie hielt ein Glas Wein in der Hand.
»Nein, danke«, lehnte Paul ab. Er fühlte sich hohl und ausgetrocknet wie ein sonnengebleichter Knochen.
»Das ist auch nicht für dich gedacht«, erwiderte Constanza in spöttischem Ton. Etwas sanfter fuhr sie fort: »Wer ist dieser Mann? Dieser Ambrose Jones, vor dem ihr beide solche Angst zu haben scheint?«
»Ambrose?« Paul wandte den Blick nicht von der Decke. »Ich bin mir nicht sicher, als was man Ambrose bezeichnen soll. Ambrose ist vieles. Man könnte ihn wohl einen Sammler nennen.«
»Einen Sammler?«
»Unter anderem. Er arbeitet für jemanden, den ich kenne, einen Kaufmann der Levante-Kompanie in London. Ein Mann namens Parvish. Er sammelt Raritäten aus aller Welt für ihn, alles, was schön und selten ist. Parvish besitzt ein berühmtes Kuriositätenkabinett.«
»Ah.« Constanza glaubte allmählich zu verstehen. »Hast du einen Kaufmann Parvish nicht schon einmal erwähnt? Du warst einmal sein Lehrling, nicht?«
»Ja, ich war sein Lehrling. Das ist sehr lange her. Er war es, der mich als Faktor nach Venedig geschickt hat.« Paul befühlte mit der Hand die geschwollene Nase und die Tränensäcke unter den Augen. Für Sekunden war er wieder achtzehn Jahre alt, streifte durch London, der Schnee sickerte in seine Stiefel, seine Nase war blutig …
»Er hat das getan, um mich zu beschämen.«
»Wer? Parvish?«
»Nein, Carew
Weitere Kostenlose Bücher