Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Wein in goldenen Kelchen gereicht. Sie hatte Paul und seinen Begleiter Francesco gebeten, im Vorzimmer zu warten. Dort hätten sie, wenn ihnen danach zumute gewesen wäre, Zeit gehabt, den Verlust der exorbitanten Summe zu bedauern, die sie für den Besuch bei der berühmtesten Kurtisane Venedigs ausgegeben hatten. Paul schüttelte den Kopf, als er an den jungen Narren dachte, der er damals gewesen war. Launische, arrogante, neureiche Gecken, er und sein Jugendfreund Francesco. Denn die Summe war so unverantwortlich hoch gewesen, dass ihm während der üblichen dreiwöchigen Wartezeit allein beim Gedanken daran der Schweiß ausbrach.
Er war auch vorher schon zu leichten Mädchen gegangen. Man fand sie ohne Mühe in der Nähe der Londoner Southwark-Theater, die er und die anderen Lehrlinge gern frequentierten, aber wenn er geglaubt hatte, hier im Palazzo eine ähnliche Sorte Frau vorzufinden, hatte er sich getäuscht. Francesco und er standen im Vorzimmer, aufgetakelt wie die Affen in ihren neumodischen Samthosen. Wie absurd sie ausgesehen haben mussten! Paul lächelte unwillkürlich. Das Warten war ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen. Dann hatten sich die Türen zu einem Raum geöffnet, der durch ein Meer von Kerzen taghell erleuchtet war. Und dann stand sie vor ihnen, in der ersten Blüte ihrer blendenden Schönheit. Das dunkle Haar fiel ihr offen auf die Schultern und sie trug ein fein gewirktes Gewand aus Goldstoff, dazu Ringe an den Fingern und eine blitzende Halskette. Zur Begrüßung erhob sie sich. Der Blick, mit dem sie Paul bedachte, gab ihm das wohlige Gefühl, schön wie Paris, gewitzt wie Odysseus und stark wie Herkules zu sein. Der einzige Mann auf Erden, den sie begehrte.
Hatte sie an jenem Tag für ihre Besucher gespielt? Er wusste nur noch, dass sie mit ihnen eine Unterhaltung geführt hatte, wie er es noch bei keiner Frau erlebt hatte – über die Dichtkunst, über Dante und Ariost und sogar den obszönen Aretino. Und die beiden jungen Männer, er und Francesco, hatten mit zitternden Knien vor ihr gestanden und sie mit Blicken verschlungen.
Aber damals war er noch jung gewesen. Paul schüttelte seinen Tagtraum entschlossen ab. In seiner Armbeuge lag weich gebettet immer noch die schlafende Constanza. Er beugte sich über sie und sog den Duft ihrer Haare ein. Sie roch nach Moschus und etwas anderem – Veilchen? –, das sich mit dem faszinierenden Geruch ihres sinnlichen Körpers mischte.
Er spürte, wie sich sein Geschlecht regte, und küsste sie auf die Schulter. Seine rauen Lippen, an denen immer noch getrocknetes Blut klebte, strichen über ihre glatte Haut. Sie lag mit dem Rücken zu ihm. Er war nahe daran, sie gleich jetzt zu nehmen, wie er das immer so gern getan hatte, wenn sie noch warm und weich und schmiegsam war. Beim Gedanken daran, wie sich das kühle Fleisch ihrer Gesäßbacken an seine heißen Lenden schmiegen würde, wurde er hart und begann, ihr das camice über die Hüften zu schieben. Aber es hatte keinen Sinn, der Druck in seiner Blase war zu stark. Er musste sich unbedingt erst erleichtern, bevor an irgendetwas anderes zu denken war. Er rollte sich aus dem Bett und stolperte in die Ecke, in der hinter dem Wandschirm immer der po bereitstand. Auf dem Rückweg trat er auf einen harten Gegenstand.
Constanza erwachte von seinem Fluch.
»Cosa?« Sie sah zu ihm, während er auf Strümpfen zurück zum Bett hinkte. »Was ist passiert?«
»Nichts. Ich bin nur auf etwas getreten. Habe ich gestern Nacht etwas fallen lassen?« Er legte sich wieder ins Bett und zog sie an sich.
»Ich glaube nicht, warum?«
»Ich habe gerade etwas gefunden, das mir gehört.« Er machte sich daran, das camice von ihrer Schulter zu ziehen, wodurch eine ihrer Brüste entblößt wurde.
»Paul …«
»Leg dich hin, ich will dich anschauen«, befahl er ihr.
Sie legte sich gehorsam auf die Kissen und blickte nachdenklich zu ihm auf.
»Wo ist der Spiegel?«, murmelte er mit den Lippen auf ihrer Brust. »Der früher an der Wand hing.«
»Was? Ach, der«, erwiderte Constanza stirnrunzelnd, »er wird neu vergoldet.« Sie holte tief Luft. »Du kannst nicht einfach hier hereinspazieren, weißt du, und erwarten … nach so langer Zeit …«
Sie entwand sich ihm und stützte sich auf den Ellenbogen. Ihr Blicke trafen sich und einen Moment lang fand Constanza ihre eigene tief verborgene Melancholie in dem Blick des Mannes wieder. Dann änderte sich ihre Stimmung abrupt. Mit einer geschmeidigen Bewegung
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