Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
beisammen hatte, hätte ertragen, was Felicitas ertragen hatte. Selbst die Auspeitscher waren entsetzt über die Geißelungen, die sie im Namen des Saturn und um der Sicherheit Roms willen vollzogen hatten.
Doch wenn Publius den drei jüngsten Söhnen dieser Verrückten das Leben schenkte, würde er Schwäche zeigen. Und damit wäre der Beweis erbracht, dass Felicitas’ Wille und ihr Glaube stärker waren als der Roms und seiner Götter.
So kam es, dass der Imperator selbst, Antoninus Pius, in den Vorort gerufen wurde und im Blut und den Eingeweiden der älteren Söhne Felicitas’ stand. Die ganze Angelegenheit konnte sich zu einer Staatskrise ausweiten, und Publius wollte nicht das Blut der jüngeren Kinder an den Händen haben, wenn er damit gegen den Willen des Kaisers verstieß. Auch Antoninus Pius war ratlos, welcher Weg in diesem abscheulichen Fall einzuschlagen war. Er dachte an jenen berüchtigten Tag vor langer Zeit, als Pontius Pilatus die Hinrichtung Jesu angeordnet hatte, womit er den Märtyrer geschaffen hatte, auf dem dieser seltsame neue Kult beruhte. Pius wollte keine weiteren Märtyrer erschaffen, die Roms Macht noch mehr schwächten. Aber er wollte seine Hände auch nicht mit dem Blut kleiner Kinder besudeln. Was sollte er tun? Antoninus Pius war ratlos.
Doch Venus, die Göttin der Schönheit und Harmonie, war dem Imperator an diesem Abend wohlgesonnen, denn sie schickte ihm die Antwort in Gestalt der anmutigen Domina Petronella. Als sie um eine Audienz bat, stieß Pius zum ersten Mal an diesem Tag einen Seufzer der Erleichterung aus.
Domina Petronella musste ihr Anliegen vor dem Kaiser gar nicht erst verteidigen, obwohl sie damit gerechnet hatte. Erstaunt erkannte sie, dass Pius geneigt schien, ihrem Plan zuzustimmen. Petronella war zwar die Frau eines Senators, doch ihr Ruf als unbeugsame Christin hätte ihre Mission erschweren können. Andererseits hatte ihre Schönheit ihr die Herzen der römischen Aristokraten geöffnet, sogar das Herz des Kaisers, ein Liebhaber schöner Frauen. Für die Audienz hatte Petronella ein cremeweißes Kleid angelegt, das schlicht geschnitten, jedoch aus kostbarer orientalischer Seide war. Ihr Haar, von der Farbe brünierten Kupfers, war zu kunstvollen Zöpfen mit darin eingewebten Perlen geflochten. Um den Hals trug sie einen Anhänger mit einem großen Rubin, an dem drei tränenförmige Perlen hingen. Eine kleinere Brosche mit dem eingeätzten Symbol eines rubinäugigen Hahns schmückte ihre Schulter. Für Uneingeweihte mochte Petronellas Schmuck der eitle Putz einer reichen Dame sein, doch wer sie besser kannte, wusste, dass die kostbaren Steine Symbole ihrer angesehenen Familie waren. Rubine und Perlen deuteten auf die Abstammung von Petronellas Ahnherrin, die von ihren Anhängern »Königin der Barmherzigkeit« genannt wurde: Maria Magdalena. Der Hahn war das Symbol für die andere Blutlinie, der Petronella entstammte, die ihres Urururgroßvaters – kein Geringerer als Petrus, der erste Bischof von Rom. Traditionsgemäß war Petronella nach dem einzigen Kind des Petrus benannt worden, einer Tochter.
Der Familienlegende zufolge hatte diese Heilige aus dem ersten Jahrhundert Jeshua-David geheiratet, den jüngsten Sohn der Heiligen Familie, mit dem Maria Magdalena zum Zeitpunkt der Kreuzigung Jesu schwanger gewesen war. Nach den schrecklichen Ereignissen in Jerusalem war Magdalena in das sichere Alexandria gebracht worden, wo sie Jesu Sohn zur Welt brachte, ebenjenen Jeshua-David.
Der Überlieferung zufolge waren Jeshua-David und Petronella von dem Tag an, als sie einander kennenlernten, unzertrennlich. Sie heirateten, bekamen Kinder und hinterließen eine Nachkommenschaft barmherziger Christen, die den Weg der Liebe in Europa verbreiteten. Die Frauen dieses Geschlechts heirateten in mächtige römische Familien ein, um ihre Blutlinie zu schützen und den Rechten Weg zu wahren, denn dies war der Auftrag ihrer Familie, der ihr von Jesus selbst erteilt worden war.
Jesus hatte seinem Freund, dem Fischer Simon, den Namen Petrus gegeben, »Fels«. Auf diesem Fels errichtete Jesus das Fundament seiner Kirche. Zugleich war Petrus einer der Nachfolger Jesu, der dafür kämpfte, dass die Lehre des Rechten Weges nicht unterging. Dass Petrus ein Verräter und Schwächling gewesen sei, der Jesus verraten habe, war eine der Lügen, die die Schriftgelehrten erfanden, um Jesu Geschichte für ihre eigenen Ziele umzuformen. Petrus’ Nachfahren jedoch kannten die
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