Sommergayflüster
Brücke zwischen zwei Welten
von Stephan Klemann
I mmer wieder wanderte sein Blick ungeduldig zur Uhr. Zum wievielten Mal er bereits nach der Uhrzeit gesehen hatte, war Alexander an diesem Morgen nicht mehr bewusst. Er stellte nur immer wieder resigniert fest, dass die Zeit einfach nicht voranschritt. Quälend langsam drehte der Sekundenzeiger seine Runden, ließ die Minuten endlos lang erscheinen.
Wenn sich der Zeiger nur so schnell bewegen würde, wie sein Herz vor Aufregung und Ungeduld schlug. Wenn die Minuten doch nur so oft wechselten, wie sein Blick zwischen dem Fenster und seiner Uhr.
Heute hatten die Sommerferien begonnen, und das Wetter hatte endlich mitbekommen, welche Jahreszeit es zu gestalten galt. Seit Tagen brannte die Sonne von einem wolkenlosen Himmel und trieb die Temperaturen jenseits der 30 Grad Marke.
Bereits eine halbe Stunde stand Alexander in seinem Zimmer am Fenster und blickte hinunter. Hinter dem Haus seiner Eltern erstreckte sich ein großflächiges Gelände – eine riesige Wiese, durchsetzt mit unzähligen Blumenbeeten und umrandet von einer Reihe großer Bäume. Das Ende des Grundstücks konnte er von seinem Zimmer aus nicht erkennen, da sich dieses weit draußen hinter einem kleinen Hügel seinen Blicken entzog. Ein Stück neben dem Haus befand sich der Swimmingpool, in dem sich das klare Wasser ruhig in der Morgensonne kräuselte, und auf der breiten Veranda stand noch der Tisch mit dem Frühstück, an dem er mit seinen Eltern heute Morgen zusammengesessen hatte.
Wieder sah er zur Uhr, und er fragte sich, ob sie überhaupt noch laufen würde. Dreißig Minuten, und doch kam es ihm vor, als würde er bereits seit Stunden nach unten starren.
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, der seinen ohnehin schon schnellen Herzschlag noch mehr beschleunigte. War heute der richtige Tag? Hatte er sich geirrt oder etwas falsch verstanden? Konnte es vielleicht sein, dass er sich getäuscht hatte und erst morgen der ersehnte Moment war?
Einen Atemzug lang spürte er Enttäuschung, fast sogar Entsetzen in seinem Innern hochsteigen. Er hatte sich auf diesen Tag so sehr gefreut, hatte seit Wochen nur noch daran gedacht, was er heute tun würde, dass dies der Tag sein sollte.
Jetzt, da die Schule den Ferien gewichen war, hatte er endlich die Gelegenheit, um zu dieser Uhrzeit im Haus zu sein.
Es musste einfach der richtige Augenblick sein. Immer wieder versuchte er sich selbst klarzumachen, dass es so weit war, dass er nicht vergebens wartete. Er kämpfte gegen die gleichzeitig aufkeimende Angst an, dass seine Eltern vielleicht etwas im üblichen Ablauf geändert haben könnten. Doch dann vernahm er unten in der Halle das Läuten der Türklingel.
Wie versteinert sah er zu seiner Zimmertür und lauschte, ob sich etwas tat. Warum hörte er denn nichts? Warum ging denn niemand zur Tür?
Endlich nahm Alexander wahr, wie jemand öffnete und anschließend wieder leise schloss. Stimmengewirr drang gedämpft nach oben in sein Zimmer, aber er konnte nicht ausmachen, wer dort sprach und was gesagt wurde. Ungeduldig sah er wieder aus dem Fenster. Ganz nah beugte er sich zur Scheibe, und sein Atem hinterließ unmerkliche Kondensstreifen auf dem Glas. Er konnte die Tür, die aus dem Haus zur Veranda und in den Garten führte, zwar nicht erkennen, aber sein Blick erfasste einen Großteil der Fläche davor. Jede Sekunde müsste jemand hinaustreten, und bereits nach zwei Schritten würde er ihn sehen können.
Und dann war es endlich so weit: Er hörte das leise Geräusch der sich öffnenden Verandatür und hielt den Atem an. Jeden Augenblick würde er ihn endlich wiedersehen.
***
„Alles klar, mein Sohn, heute kümmerst du dich um die Blumenbeete, fegst das Laub von der Wiese zusammen und schaltest die Bewässerungsanlage ein. Mindestens zwei Stunden am Vormittag und am späten Nachmittag muss sie laufen. Dazwischen machst du den Pool sauber. Wenn du damit fertig bist, besprechen wir alles Weitere. Und gib dir Mühe! Die Krügers erwarten gute Leistung. Nutze diese Chance!“, erklärte Rana ihrem Sohn.
Jamiel nickte zustimmend.
„Mach dir keine Sorgen, Mutter. Ich bin froh, diesen Job bekommen zu haben, und ich werde nicht riskieren, ihn zu verlieren. Wir brauchen das Geld!“
„Das stimmt. Und ich bin mir sicher, dass du dein Bestes geben wirst“, lächelte Rana zufrieden. Sie drückte ihn an sich und war glücklich, dass Jamiel hier zusammen mit ihr im Haus der Familie Krüger
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