Das magische Buch
sich langsam dem Vulkan Hutlan näherte, war Zeuge dessen, was im Inneren dieses behelfsmäßigen magischen Kreises geschah.
Niemand konnte sehen oder hören, was zwischen den beiden vor sich ging.
›Hör zu und unterbrich mich nicht‹, sagte Hanna. ›Hör mir aufmerksam zu, und lass dich nicht ablenken. Lass den Wein und vergiss alles um dich herum. Du wirst etwas Außergewöhnliches zu hören bekommen …‹ «
Lucía und ich sehen uns an. Die Spannung ist nicht mehr zu überbieten. Wird Nevalias Buch einen Barbaren wie Scroom beeinflussen können?
»Was wohl in dem Buch steht?«, sagt Lucía, mehr zu sich selbst.
»Keine Ahnung«, antworte ich. »Aber ich bezweifle sehr, dass es irgendeinem Buch, so gut es auch sein mag, gelingen kann, Scroom umzustimmen.«
»Dein Vater hat wirklich viel Fantasie, dass er sich so eine Geschichte ausdenken kann!«
»Mein Vater … Hoffentlich wird er bald wieder gesund«, seufze ich. »Das ist das Einzige, was mich interessiert.«
»Wenn ein Buch Scroom aufhalten kann, dann kann ein anderes Buch bestimmt auch die Krankheit deines Vaters heilen! Wir müssen Das magische Buch so schnell wie möglich zu Ende schreiben!«
Hoffentlich hat Lucía recht.
12
H eute ist der Tag der Entscheidung. Entweder Sansón Pérez schlägt mich zu Brei, oder das Problem ist ein für alle Mal gelöst, und ich brauche keine Angst mehr vor ihm zu haben.
Als ich zusammen mit Lucía in die Klasse komme, sind die anderen schon fast alle da. Ich setze mich auf meinen Platz und sage keinen Ton. Ich habe einfach keine Kraft zum Sprechen. Ich bin aufgeregt. Sehr aufgeregt.
In diesem Augenblick kommt Sansón Pérez herein. Selbstsicher grinst er in die Runde. Bleibt nur zu hoffen, dass das reine Angeberei ist, wie bei Kartenspielern, die damit ihre Gegenspieler verwirren wollen.
»Also, Kinder«, ruft Señorita Clara und klatscht wieder in die Hände, »heute wollen wir Das unsichtbare Buch lesen, wie wir es gestern besprochen haben.«
Niemand sagt etwas. Es herrscht Grabesstille, wie in einem Horrorfilm. Man könnte eine Stecknadel fallen hören.
»Aber wir wollen es richtig gut machen«, fährt unsere Lehrerin fort. »Wir gehen jetzt alle zusammen in die Schulbücherei und lesen es dort. Ich habe auch noch andere Klassen eingeladen, damit sie sehen, wie gut wir das machen.«
Jetzt ist die Hölle los! Man könnte meinen, wir gehen auf eine Party. Alle freuen sich, Sansón kann ich nicht sehen. Ich bin mir sicher, dass er der Einzige ist, der sich nicht freut. Die Schulbücherei ist nicht gerade sein Lieblingsplatz.
»Steht jetzt auf und geht in die Bücherei. Aber mit Ruhe und Ordnung! Verstanden?«
Auf dem Flur kommt Javier völlig außer Atem auf mich zugelaufen.
»Hier, César«, sagt er und reicht mir einen großen Umschlag. »Den hat Mama mir für dich mitgegeben.«
»Was ist das?«, frage ich, als ich den Umschlag aufmache.
»Neue Seiten von Papas Buch, glaub ich. Er hat sie heute Nacht geschrieben.«
»Danke, Javier!«
Er rennt wieder weg. Ich gehe zu Lucía und erzähle ihr, was passiert ist.
»Wir müssen sie sofort lesen«, befiehlt sie.
»Jetzt? Bist du verrückt? Wir müssen in die Bücherei.«
»Sollen die doch ohne uns anfangen! Ich gehe da nicht hin, bevor ich das hier gelesen habe …«
Lucía ist störrischer als ein Esel. Wenn sie sagt, wir müssen sofort lesen, dann müssen wir lesen. Und ich gebe mich mal wieder geschlagen.
»Na gut«, sage ich, »am besten, wir gehen in unsere Klasse, da stört uns bestimmt niemand. Aber wir müssen schnell machen!«
Wir gehen in unseren Klassenraum zurück, der tatsächlich schon vollkommen leer ist.
Lucía setzt sich hinters Pult und bittet mich um die neuen Seiten.
»Ich fange an«, sagt sie. »Los geht’s …
Hanna schlug das schwere Buch auf und begann mit fester Stimme zu lesen.
Die Prinzessin legte so viel Gefühl in den Text, dass Scroom ihr gespannt lauschte. Sie sprach die Worte mit solcher Inbrunst, dass sie von einem magischen, unbekannten Ort zu kommen schienen. Niemals zuvor hatte Scroom Worte mit einer solchen Wirkung gehört. Nicht einmal er selbst konnte eine solche Wirkung hervorrufen, wenn er vor seinen Truppen eine Rede hielt, um sie auf eine Schlacht einzustimmen. Der Text hatte eine solche Macht, dass er zu glauben begann, was er hörte.
Der Barbar war so überrascht von dem Zusammenklang der Worte, dass sein Herz eine Wandlung erfuhr und sich ein Lächeln auf seinem Gesicht abzuzeichnen
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