Ein Mann von Ehre
1. KAPITEL
Damian fand, er sei dumm gewesen, heimzukehren. In England erwarteten ihn nur bittere Erinnerungen. Wäre er vernünftig, würde er nach Indien zurückreisen oder vielleicht in Spanien ein neues Leben beginnen. Dort war es zumindest warm. Er hatte die Heimreise jedoch aus einem ganz bestimmten Grund angetreten – dem von ihm gegebenen Versprechen –, und es lag ihm nicht, sein Wort zu brechen.
Nachdenklich lehnte er an einem Baum und bemerkte plötzlich im Obstgarten etwas Buntes. Erstaunt furchte er die Stirn, als er zunächst einen Hund auf sich zurennen und dem Tier in einigem Abstand eine Frau folgen sah.
Sie sah wie eine Göttin aus. Schon in der Jugend hatte Damian nichts für die zimperlichen jungen Damen der Gesellschaft übrig gehabt, denen er begegnet war. Eine der Verfehlungen, derentwegen der Vater ihn verbannt hatte, war dessen Meinung nach sein unglücklicher Hang zu älteren Frauen, verheirateten Damen, denen es Vergnügen bereitete, sich einen jungen, gut aussehenden und ziemlich verrufenen Liebhaber zu nehmen.
Belustigt fragte er sich, ob es sich bei der Frau um Miss Eastleigh handeln könne. Vermutlich nicht, denn sie konnte unmöglich die alte Jungfer sein, von der es hieß, sie lebe auf dem benachbarten Grundstück.
Lächelnd dachte er daran, dass er eigentlich schon beschlossen hatte, nach London zu fahren, um der Langeweile zu entrinnen. Nun jedoch war sein Interesse geweckt. Vielleicht konnte er sich doch noch etwas auf dem Land amüsieren. Es war indes keineswegs sicher, ob die junge Frau noch mit ihm Umgang pflegen würde, sobald sie von seinem angegriffen Ruf gehört hatte. Bestimmt mied sie ihn dann, wenn ihr Ansehen ihr lieb war. Bis es jedoch so weit war, konnte es möglicherweise recht amüsant werden, mit ihr zu verkehren.
Der schöne Vormittag trug sehr zu Rosalyns Wohlbefinden bei, als sie durch den Obstgarten zur Rückseite ihres Hauses schlenderte. Das feuchte, schlechte Wetter war endlich vorbei, und an den sprießenden Knospen sah man, dass es Frühling wurde.
Die Sonne schien, und der laue Wind fächelte Rosalyn das Gesicht, von dem sie selbst meinte, man könne es nicht unbedingt hübsch nennen. Sie hielt ihren Mund für zu groß und ihre Nase für zu lang. Zudem war sie dunkelhaarig und höher gewachsen als die meisten Herren ihres Bekanntenkreises. Auch mit ihrer Art gewann sie sich nicht sogleich Freunde. Sie hatte einen offenen, freimütigen Blick und äußerte im Gespräch viel zu oft gegenteilige Ansichten. Zu gut war ihr bekannt, dass Männer zierliche, attraktive Blondinen bevorzugten, die sich scheu und zurückhaltend benahmen und sich nicht so selbstsicher gaben wie sie. Jedenfalls sprangen die Herren nicht sofort auf, wenn sie einen Raum betrat, um ihr beim Platz nehmen behilflich zu sein.
Allerdings war es ihr ziemlich gleich, welchen Eindruck sie hinterließ und was die Herren der Schöpfung von ihr dachten. Sie vertrat die Überzeugung, dass sie mit siebenundzwanzig Jahren ohnehin schon zu alt für die Ehe war, und dachte daher nicht mehr daran, sich zu verheiraten.
Sie rief die schwarz-weiße, von Frederick bei seinem letzten kurzen Besuch zurückgelassene Mischlingshündin zu sich, die ständig irgendwelchen Unfug im Sinn hatte. Sogleich machte Sheba kehrt, kam zu ihr und sprang an ihr hoch.
„Lass das!“, herrschte Rosalyn sie unwirsch an und versuchte, die von den Pfoten hinterlassenen Tapser vom Rock zu wischen. „In dieser Woche hast du mir jetzt bereits das dritte Kleid schmutzig gemacht!“, schimpfte sie. „Manchmal habe ich den Eindruck, das tust du nur, um mich zu ärgern!“
Sheba kläffte aufgeregt, bemerkte eine Katze und sauste bellend auf sie zu.
„Komm sofort zurück, Sheba!“, rief Rosalyn erbost, musste jedoch wider Willen lächeln.
Die Hündin gehorchte nicht, wie so oft, wenn sie ihrer eigenen Wege ging und stundenlang verschwand. Zum Glück hatte sie jedoch stets den Weg nach Haus gefunden und war dann im Allgemeinen sehr schmutzig und vor allem äußerst hungrig gewesen.
„Sie sollten dem Hund das Gehorchen beibringen, Madam“, sagte Damian erheitert. „Sonst tut er dauernd, was er will. Colliemischlinge können sehr eigensinnig sein, wenn man ihnen nicht klarmacht, wer der Rudelführer ist.“
Erschrocken hatte Rosalyn sich umgedreht. Sie war der Annahme gewesen, allein im Garten zu sein, und sah nun einen ihr unbekannten, elegant gekleideten Herrn an einem Baum lehnen. Er hatte verhältnismäßig kurzes
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