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Das Magische Labyrinth

Das Magische Labyrinth

Titel: Das Magische Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gegenangriff gekontert. Obwohl sie sich nach jeder Auseinandersetzung wieder vertragen hatten, wußte Alice, daß der Tag der Trennung nicht mehr fern war.
    Aber sie hätte sich von ihm trennen sollen, bevor sie an Bord der hergegangen waren. Andererseits wollte sie die Lösung jener Rätsel kennen lernen, die die Flußwelt für sie bereithielt. Wenn sie zurückblieb, würde sie ihr Leben lang bedauern, nicht mitgegangen zu sein. Deswegen war sie mit Richard an Bord gegangen, hielt sich nun in ihrer Kabine auf und fragte sich, was sie als nächstes tun sollte.
    Sie mußte außerdem zugeben, daß es noch andere Gründe für ihr Hiersein gab als das des Rätsellösens. Zum ersten Mal in ihrem Leben auf dieser Welt verfügte sie über fließendes heißes und kaltes Wasser, eine bequeme Toilette, ein Bett, eine Klimaanlage und einen Großen Salon, in dem sie sich Filme und Theaterstücke ansehen und klassische und populäre Musik anhören konnte, die von Orchestern gespielt wurden, die Instrumente benutzten, die man schon auf der Erde gekannt hatte – nicht die Lehm-, Haut- und Bambusnotbehelfe, die an den Flußufern üblich waren. Des weiteren konnte man Bridge, Whist und andere Spiele spielen. All diese körperlichen und geistigen Bequemlichkeiten standen ihr zur Verfügung. Es würde schwer sein, sie aufzugeben.
    Für eine Bischofstochter, die am 4. Mai 1852 in der Nähe von Westminster Abbey zur Welt gekommen war, war dies wirklich eine seltsame Situation. Ihr Vater war zwar nicht der einzige Dekan des Christ Church College gewesen, aber immerhin der Mitherausgeber von Liddell und Scotts Griechisch-Englischem Wörterbuch. Ihre Mutter war eine hübsche, kultivierte Frau, die aussah wie eine Spanierin. Alice Pleasance Liddell war im Alter von vier Jahren nach Oxford gekommen und hatte sich augenblicklich mit dem schüchternen, stammelnden Klerikalmathematiker und seinem skurrilen Humor angefreundet. Da sie beide in Tom Quad lebten, sahen sie sich regelmäßig.
    Als Töchter eines Bischofs königlicher und adeliger Abstammung hatte man Alice und ihren Schwestern nur selten erlaubt, mit anderen Kindern zu spielen. Erzogen hatte sie einzig und allein ihre Gouvernante Miß Pickett, eine Frau, die sich zwar alle Mühe gegeben hatte, den Mädchen etwas beizubringen, aber selbst nicht besonders gebildet gewesen war. Alice hatte die Vorzüge einer privilegierten Kindheit im Viktorianischen Zeitalter dennoch schätzen gelernt. John Ruskin war ihr Zeichenlehrer gewesen, und oft war es ihr gelungen, die Tischgespräche ihres Vaters zu belauschen: Zu seinen Gästen hatten der Prinz von Wales, Gladstone, Matthew Arnold und viele andere Größen und Berühmtheiten gehört.
    Sie war ein hübsches Kind gewesen; dunkelhaarig, mit Ponyfrisur, und einem Gesicht, das ihre stille, träumerisch veranlagte Seele widerspiegelte, wenn sie nachdachte oder – besonders von Dodgsons phantastischen Geschichten – angeregt wurde. Sie hatte eine Menge gelesen und sich größtenteils selbst gebildet.
    Sie spielte gern mit Dinah, ihrer schwarzen Katze, und es machte ihr Spaß, dem Tier Geschichten zu erzählen, die natürlich niemals die Qualitäten des Reverends erreichten. Ihr Lieblingslied war >Abendstern<, das Dodgson in Alice satirisch verfremdet und unter dem Titel >Schildkrötensuppe< der Falschen Schildkröte in den Mund gelegt hatte.
     
    Schalippe, Schaluppe!
    Seht doch die Suppe, Die fette! Die grüne! In der Terrine!
    Die Suppe der Suppen, die herrliche Suppe!
    Die Suppe der Suppen, die herrliche Suppe!
     
    Das Kapitel, das die wirkliche Alice am meisten liebte, war das von der Edamer Katze. Sie liebte Katzen, und wenn niemand in der Nähe war, sprach sie sogar noch als Erwachsene mit ihnen wie zu einem Menschen.
    Sie wuchs zu einer gutaussehenden jungen Frau mit ansehnlichem Äußeren heran und war umgeben von einer ungewöhnlichen, unklassifizierbaren, beinahe ungreifbaren Aura, die, als sie noch ein Kind gewesen war, sowohl Dodgson als auch Ruskin angezogen hatte. Für sie war Alice >ein Kind der reinen Unschuld mit träumenden Augen<.
    Trotz ihres ansprechenden Äußeren heiratete sie erst im Alter von achtundzwanzig Jahren – was sie im viktorianischen 1880 schon beinahe zu einer alten Jungfer machte. Ihr Gatte, Reginald Gervis Hargreaves aus der bei Lyndhurst, Hampshire, beheimateten Linie der Cuffnell, wurde in Eton und Christchurch erzogen, übte den Beruf eines Friedensrichters aus und lebte mit Alice und ihren drei Söhnen

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