Das Magische Labyrinth
Schmerz, den ich bei diesem Gedanken empfand, sicher vorstellen – versagt? War ich dazu ausersehen, den anderen den Weg zum Heil zu zeigen und selbst hinter ihnen zurückzubleiben? Wie Moses, der seinem Volk den Weg ins Gelobte Land wies und es selber nicht betreten durfte?«
»Oh, nein!« rief Hermann aus. »Das hätte nicht sein können!«
»Es hätte sein können«, sagte La Viro. »Denn ich bin nur ein Mensch, kein Gott. Eine Weile faßte ich sogar den Gedanken eines Rücktritts ins Auge. Vielleicht hatte ich die Weiterentwicklung meines eigenen ethischen Fortschritts dadurch vernachlässigt, daß ich mich nur noch um die Kirche kümmerte? Ich war überheblich geworden; irgendwie hatte die Machtfülle, die ich besaß, mich auf unterschwellige Art korrumpiert. Ich hatte vor, die Bischöfe einen anderen Führer wählen zu lassen. Ich wollte meinen Namen ändern und als Missionar flußabwärts gehen.
Nein, erspare dir deinen Protest. Ich habe wirklich ernsthaft darüber nachgedacht. Aber dann sagte ich mir, daß ich damit das Vertrauen enttäuschen würde, das die Ethiker in mich gesetzt hatten. Und vielleicht gab es sogar noch eine andere Erklärung für dieses schreckliche Ereignis.
Außerdem mußte ich zunächst eine öffentliche Erklärung abgeben. Du kennst sie, denn du gehörtest zu den ersten, die sie hörten.«
Hermann nickte. Auch er war unter denen gewesen, die La Viros Botschaft dreitausend Kilometer von Virolando entfernt verbreitet hatten. Er war länger als ein Jahr von seinem geliebten Land getrennt, aber dennoch glücklich gewesen, für La Viro und die Kirche arbeiten zu können. Die Botschaft hatte folgenden Wortlaut gehabt: Habt keine Angst! Glaubt! Das Ende ist noch nicht gekommen, die Zeit der Prüfung noch nicht vorbei. Wir durchleben ein Zwischenstadium, das nicht ewig dauern wird. Eines Tages werden die Toten wiederauferstehen. So ist es versprochen. Die, die diese Welt bauten und euch die Möglichkeit gaben, unsterblich zu werden, haben euch nicht verlassen. Das Zwischenstadium ist eine Prüfung. Habt keine Angst! Glaubt!
Viele hatten Hermann nach dem Grund dieser >Prüfung< gefragt. Er hatte nur antworten können, daß er darüber selbst nichts wisse. Vielleicht hatte La Viro den Grund von den Ethikern erfahren. Vielleicht würde die Offenlegung der Gründe die Prüfung null und nichtig machen.
Manche hatten diese Erklärung nicht akzeptiert, sich von der Kirche abgewandt und sie verlassen. Die Wahrheit war jedoch geblieben. Überraschenderweise waren viele Menschen zu ihr übergetreten, weil sie von der Angst geleitet wurden, daß es wirklich eine zweite Chance gab, die Unsterblichkeit zu erlangen. Sie wollten sie nutzen, jetzt, wo die Zeit knapp wurde. Das war natürlich kein auf Vernunft basierendes Verhalten, denn schließlich hatte La Viro prophezeit, daß die Wiedererweckungen bald wieder stattfinden würden – aber die Menschen wollten offenbar nun nichts mehr dem Zufall überlassen.
Obwohl die Angst allein auf lange Sicht niemanden zu einem wirklich Gläubigen machte, rief sie einen Schritt in die beabsichtigte Richtung hervor. Vielleicht würde der echte Glaube folgen.
»Die einzige Behauptung in meiner Botschaft, die nicht hundertprozentig der Wahrheit entsprach«, sagte La Viro, »war die, daß dieses Zwischenstadium eine Prüfung sei. Ich hatte keinen direkten Hinweis, das heißt keine direkte Aussage meines Besuchers, daß dies den Tatsachen entsprach. Dennoch war meine Behauptung nicht direkt eine religiöse Lüge. Das Ausbleiben der Wiedererweckungen ist wirklich eine Prüfung. Eine Prüfung unseres Mutes und unseres Glaubens. Es führt jeden einzelnen von uns in Versuchung.
Damals glaubte ich, daß die Ethiker einen guten Grund hätten, mit den Wiedererweckungen aufzuhören, und es ist durchaus möglich, daß dies wirklich so ist. Aber mein Besucher erzählte mir, daß er und seine Kollegen trotz der ihnen zur Verfügung stehenden Superkräfte ebenso menschlich sind wie wir. Sie können Irrtümer begehen und Fehler machen. Das bedeutet, daß sie nicht unangreifbar sind. Auch ihnen können Pannen passieren und Unfälle zustoßen. Feinde könnten ihnen etwas antun.«
Hermann richtete sich starr auf. »Welche Feinde?«
»Ich kenne ihre Identität nicht – falls es überhaupt welche gibt. Aber bedenke dies: Dieser Untermensch – nein, ich will ihn nicht so nennen, da er trotz seiner seltsamen Erscheinung ein Mensch ist –, dieser Riese namens Joe Miller und die
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