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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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seltsam. Eine Menge Rindenmulch blieb übrig, das Brot vergammelte in der Lade, er selbst beschäftigte sich mit Kündigungsphantasien, vergaß Irenes Termine und sah Kirchtürme schwanken; der Sohn verhielt sich herablassend und distanziert, und jetzt attackierte ihn auch noch sein Haustier. Irene hätte vermutlich gesagt, er gebe all dem zu viel Bedeutung, und er hätte darauf gesagt, das sei sein Beruf, den Dingen Bedeutung zu geben.
    Horn spülte die Kaffeetasse ab. Die Katze spielte mit dem Wasserstrahl und tat so, als habe sie nie etwas gegen ihn gehabt. »Du falsches Luder«, sagte er halblaut. Sie schnurrte und schaute an ihm vorbei. Sie schielt, dachte er. Es war ihm noch nie aufgefallen. Er überlegte, ob er das Auto oder wieder einmal das Fahrrad nehmen solle, und beschloss dann doch, zu Fuß zu gehen. Der Vorderreifen seines Crossbikes verlor auf undurchschaubare Weise Luft, manchmal beinahe alles auf einmal und manchmal über eine längere Strecke hinweg gar nichts, und in den Volvo wollte er nicht gleich wieder steigen.
    Er überquerte den Hinterhof und klopfte an die Tür zu Tobias’ Zimmer. Da er keine Reaktion erhielt, öffnete er. Tobias lag seitlich auf dem Bett und schnarchte. Unter seinem Mundwinkel hatte sich ein Speichelfleck gebildet. Horn blickte ihn eine Weile an. Er hat meine Gestalt, dachte er, er hat Irenes Sommersprossen, er ist renitent und er stinkt. Ich versuche in mir die Zuneigung zu meinem Sohn zu finden und scheitere. Die Katze sprang aufs Bett und rollte sich hinter Tobias’ Kniekehlen zusammen. Du hast mit alledem kein Problem, dachte Horn.
     
    Der Fußweg, der die Straßenkehren abschnitt und in gerader Linie auf die Stadt zuführte, wurde im Frühjahr regelmäßig von Lattich und Gesträuch überwuchert. Erst wenn die Leute sich zu sehr aufregten, ging Martin Schwarz, der Bauer, der ein Stück oberhalb wohnte, mit dem Motortrimmer und schnitt den Pfad frei. Horn blieb mehrmals in jungen Brombeerranken hängen, fluchte und merkte nebenbei, dass sich in ihm eine Melodie breitgemacht hatte, eine kurze Passage aus dem Bruckner-Te-Deum. Sanguine, sanguine, mehr Text fiel ihm nicht ein. Ein paar Takte konnte er weitersummen. Verzückt in den Himmel blickende Klosterschwestern kamen ihm in den Sinn, dann Padre Pio samt seinen mullumwickelten Händen, und am Schluss sah er Sabrina vor sich, die rothaarige Sechzehnjährige, die an seiner Station aufgenommen war und sich während der letzten Woche täglich irgendeine Stelle ihres Körpers dermaßen aufsäbelte, dass sie genäht werden musste. Es gebe nichts Schöneres, hatte sie gesagt, als den Moment nach dem Schnitt, wenn der Körper gewissermaßen in einem kurzen Überlegen innehalte, die Kluft rein und weiß vor einem liege und erst nach einer Sekunde das Blut zu quellen beginne. Sie halte daher auch gar nichts von Brandwunden, obwohl sie selbst Raucherin sei. »Da stinkst du angekokelt und blutest keine Spur«, hatte sie gesagt. Über die spannungsreduzierenden Alternativen, die ihr angeboten wurden, lachte sie nur oder tippte sich an die Stirn. In eine Chilischote beißen oder mit Fäusten gegen einen Sandsack hauen, das könnten sie alle miteinander tun, sie selbst sei nicht so deppert. »Wer wird dich später noch wollen, wenn du über und über voller Narben bist?«, hatte Sania, die junge Sozialpädagogin, gefragt, und Sabrina hatte geantwortet: »Wer hat mich bis jetzt gewollt?«
    Irene mochte diese Geschichten nicht. »Meine Lebensform ist die Idylle«, sagte sie, »für Angst und Schrecken bist du zuständig.« So war es: Sanguine, sanguine. Er befasste sich mit früh gestörten Selbstverletzerinnen und sie saß in stuckverzierten Sälen und spielte ihre melancholischen Soli, mit geschlossenen Augen und der Zungenspitze zwischen den Lippen. »Du bist die konsequenteste Verleugnerin, die ich kenne«, sagte er ab und zu, und sie sagte dann, wenn er Musik als eine Form der Verleugnung ansehe, dann könne sie gut dazu stehen. »Ob Michael das auch so sieht?«, fragte er, und ihr stiegen die Tränen in die Augen. Zwischen den beiden gab es etwas Irreparables, daran hatte auch der Auszug Michaels nichts geändert. Sie sprachen kaum miteinander, und wenn sie einander begegneten, lief es jedes Mal gleich ab: Irene begann innerhalb kürzester Zeit zu mäkeln und Michael bekam einen roten Kopf und sagte gar nichts mehr.
    Es war noch genügend Zeit, daher verließ er die Bundesstraße und nahm die Abzweigung zur biologischen

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