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Das Matrazenhaus

Das Matrazenhaus

Titel: Das Matrazenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulus Hochgatterer
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habe es in einer Angehörigenrunde noch nie gegeben; üblicherweise seien die Männer nicht so engagiert. Maria Reintaler lachte auf. Abgesehen davon, dass engagiert wohl nur ein Witz sein könne, stehe es auch hier in Wahrheit unentschieden, sei doch ihr Mann ausschließlich Staffage. Er gehe nur mit, da er mit sich allein zu Hause nichts anzufangen wisse. Sophie Kirschner lachte jetzt ebenfalls und Max Reintaler sagte: »Stimmt.« Er war einer jener Männer, die, wenn überhaupt, vorwiegend in Einwortsätzen sprachen: Ja. Nein. Mahlzeit. Hauab. Stimmt. Er führte einen kleinen Elektroinstallationsbetrieb, hatte ein gewisses Spezialistentum für Photovoltaik entwickelt und konnte sicher sein, dass seine Kunden von dem, was er machte, nicht die geringste Ahnung hatten. Seine Frau hatte ihm das Büro geführt, bis vor einem Jahr bei ihrer Mutter eine besonders rasch verlaufende Form der Demenz begonnen und sie sich nur noch ihrer Pflege gewidmet hatte. Horn fragte in die Runde, ob die anderen Herren sich auch als Staffage fühlten. Maria Reintaler sagte, das sei ihr egal, auf ihren Mann treffe das ohne Zweifel zu, hier und noch mehr zu Hause, sie sei so was von fertig, das könne sich keiner vorstellen, und ihren Herrn Gemahl berühre das gar nicht. Sie erwarte sich von der Gruppe, dass man ihrem Mann einmal gehörig die Leviten lese; es gehe nicht, dass sie mit der gesamten Last der Pflege total allein bleibe, nicht zu reden vom Haushalt und dem, was sie an Buchhaltung für die Firma nach wie vor erledige. Max Reintaler trug eine hellbraune Cordhose, ein kariertes Hemd und um den Hals eine mittelstarke Goldkette. Er blickte starr geradeaus und Horn war sicher, dass er an Kondensatoren, Kabelquerschnitte oder Solarpaneele dachte und ihm das, was seine Frau soeben sagte, durchs Hirn wehte wie ein Mailüftchen. Irgendwie verstehe ich ihn, dachte Horn, sie macht einen wahnsinnig. Außerdem hatte sie mit ihrem Lamento die letzten beiden Runden dominiert und das wollte er nicht noch einmal zulassen. »Wie ist Ihre Mutter pflegegeldmäßig eigentlich eingestuft?«, fragte er. Maria Reintaler zog die Brauen hoch und schnappte nach Luft. »Warum?«, fragte sie, »was hat das damit zu tun?« In manchen Momenten spürte Raffael Horn Verlogenheit und Scheinheiligkeit in seinem Inneren emporquellen wie eine weiche, süße Masse. Er war dann nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Er habe bloß überlegt, ob sie für ihre Mutter möglicherweise zu wenig Pflegegeld beziehe und daher am Zukauf einer professionellen Unterstützung gehindert werde, sagte er, auf dem Sektor der mobilen Krankenpflege werde allerhand angeboten, gerade im psychiatrischen Bereich. Nein, das wolle sie nicht, ereiferte sich Maria Reintaler, niemand kenne ihre Mutter so gut wie sie, und überhaupt reagiere diese auf fremde Personen zunehmend panisch. Sie hatte sich kerzengerade aufgerichtet und zerstach die Luft mit ihrem Zeigefinger, während sie sprach.
    »Ihnen geht es doch nur ums Geld!« Kurt Frühwald sagte es ganz ruhig, beinahe beiläufig.
    »Wie bitte?!« Ihre Stimme kippte.
    »Stufe sieben, habe ich recht?«, sagte Frühwald, »das Maximum plus den Zuschlag für erhöhten medizinischen Aufwand.«
    »Na und, das steht ihr auch zu!«
    »Bestreitet ja keiner.«
    »Eben. Was wollen Sie dann?«
    »Gerechtigkeit«, sagte Kurt Frühwald, »manchmal will ich eine Spur von Gerechtigkeit, mehr nicht.«
    »Gerechtigkeit?! – Niemand kann etwas dafür, dass das mit Ihrer Frau passiert ist!« Jeden Moment springt sie auf und geht ihm an die Gurgel, dachte Horn. Maria Reintaler saß mit hochrotem Kopf da, die Hände beidseits um die Sitzfläche ihres Sessels gekrallt. Kurt Frühwald wirkte vollkommen gelassen. Er lächelt, dachte Horn, er lächelt tatsächlich. Frühwald war ein mittelgroßer, glatzköpfiger Mann, der mehrmals pro Woche quer über den See und retour schwamm, vom Bootssteg der Beobachtungsstation aus hinüber zu jener Stelle, an der der Fürstenaubach in einen Wasserfall mündete, in Summe mehr als drei Kilometer. Er brauche das nicht für sein Ego, sagte er, wenn ihn jemand darauf ansprach, sondern für seine Frau; sie wiege fünfundsiebzig Kilogramm, sei stark wie nur was und vollkommen unberechenbar. Frühwalds Frau hatte vor elf Jahren eine schwere Schädelverletzung erlitten und war danach sowohl gehunfähig als auch in ihrer Persönlichkeit völlig verändert gewesen. Ihr Mann hatte sie zum ehestmöglichen Zeitpunkt aus dem Spital

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