Das Maya-Ritual
Strafverfolgung zu säubern, den man deshalb von der PJE übernahm, der Polizei der einzelnen Bundesstaaten. Aber das ging nicht über Nacht.
»Captain Sanchez ist im Auftrag der Bundespolizei tätig. Die PJE wurde aufgefordert, alles an nötiger Unterstützung zu leisten, aber Sanchez entschied, Sie beide hinzuzuziehen, statt sich auf seine früheren Kollegen zu verlassen, die nicht übermäßig glücklich waren, als er einen Werbefeldzug für Reformen begann.«
»Und dass wir beide Nordamerikaner sind, hat das irgendetwas damit zu tun?«, fragte ich.
Dr. de Valdivia lächelte. Seine vom Alter schon ein wenig dunkel gewordenen Zähne waren in gutem Zustand, wenngleich sie sichtbare Silberfüllungen enthielten, was in dieser Region Tradition hatte.
»Si, Senorita Madison. Das FBI hat an der Ausbildung unserer Bundespolizei mitgewirkt, deshalb gibt es kein Problem hinsichtlich einer Zusammenarbeit mit norteamericanos. Und die Tatsache, dass Goldberg selbst Amerikaner war… Vielleicht kam der Vorschlag von ganz oben, ich weiß es nicht.«
»Äh, Doktor…« Ken wollte unbedingt eine Frage loswerden.
»Ja, Senor Arnold?« Dr. de Valdivia blickte von mir weg, und erst jetzt wurde mir bewusst, dass er mir seine gesamte Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Er besaß großen Charme, und ich spürte auch eine tiefe Lebenserfahrung.
»Wenn Sie bereits im Ruhestand sind, wieso arbeiten Sie dann an dem Fall?«
»Eine gute Frage -«
Die Bedienung war mit seinem Drink gekommen. Aber zu dem Glas mit dem strohfarbenen Likör brachte sie außerdem die ganze Flasche mit und ließ sie auf dem Tisch für ihn stehen. Er bedankte sich elegant für diese Geste, indem er das Glas in ihre Richtung hob, bevor er trank. Ich erkannte die Marke. Es war ein Mayalikör namens xtabentun, der aus Anis und vergorenem Honig hergestellt wurde.
»Ja, eine gute Frage, Senor Arnold. Ich vermute, der Grund dafür ist so ziemlich derselbe, warum auch Sie hier sind. Captain Sanchez konnte wahrscheinlich keinen Gerichtsmediziner ohne ausgeprägte Verbindungen zur PJE bekommen. Die hätten dann vielleicht versucht, ihn in Verlegenheit zu bringen. Einen diplomatischen Zwischenfall provoziert. Aber offiziell hat er mich hinzugezogen, weil ich so etwas wie ein Amateurgelehrter in Sachen Maya bin.«
Ken und ich waren erst einmal verdutzt.
»Weil doch Senor Goldberg in Chichen Itza ermordet wurde.«
Er streckte die Arme aus und drehte die Handflächen nach oben, um anzuzeigen, dass es keiner weiteren Erklärung bedurfte.
»Ah ja«, murmelte Ken, dem, wie mir selbst, der Zusammenhang verborgen blieb. »Wie wurde er eigentlich getötet, da wir gerade dabei sind?«
»Machete. Ein einziger Schlag in den Hals.« Dr. de Valdivia ließ seinen langen Zeigefinger durch die Luft sausen. »Ich verstehe schon, warum die Polizei Mayafanatiker in Verdacht hat«, fügte er in skeptischem Tonfall an.
»Und was glauben Sie, wer es war?«, fragte ich.
»Ich habe mir noch keine Meinung gebildet, Senorita.« Er ließ den Blick ein wenig schweifen, verschränkte die Hände und stützte sie auf den Griff seines Spazierstocks. Der Griff stellte den stilisierten Kopf eines Tiers mit offenem Rachen dar und war aus Silber, was in Mexiko nicht überraschte. Ich bemerkte außerdem, dass Dr. de Valdivias Fingernägel vorzüglich manikürt waren.
Ken beendete die Pause in unserem Gespräch. »Captain Sanchez zufolge sind die hiesigen Maya verärgert, weil sie keinen freien Zutritt zur Ausgrabungsstätte haben, um ihre Waren zu verkaufen.«
»Was wohl kaum ein Grund sein dürfte, jemanden zu enthaupten«, sagte der Doktor. Ich bemerkte, dass er sich abwehrend zu verhalten begann, wenn es um die Maya ging.
»Publicity für ihre Sache«, meinte Ken. »Sie suchen sich ein Großereignis wie dieses aus und machen den Kerl kalt, der es veranstaltet.«
»Aber das hat nicht funktioniert«, sagte ich. Goldberg hatte die Generalprobe am Vortag aufgezeichnet, falls bei der Live-Show etwas schief gehen sollte, und diese Probe wurde nun gesendet.
»Die Maya haben gewichtigere Anliegen, als Nippes an Touristen zu verkaufen«, sagte Dr. de Valdivia in scharfem Ton. Das war es also. Offenbar hegte er große Sympathien für die Maya, die in der Vergangenheit starke Unterdrückung erlitten hatten und noch heute von der Bevölkerungsmehrheit, die selbst aus Mischlingen spanischen und indianischen Bluts bestand, häufig als Bürger zweiter Klasse behandelt wurden.
Ich wandte mich an Ken. »Du
Weitere Kostenlose Bücher